forum Schutz von Kulturgütern in bewaffneten Konflikten

Einführung in das Thema

Hinweis: Hier gibt es das Handbuch zum Gremium

1. Einleitung

Die Menschheit definiert sich zu einem beachtlichen Teil durch ihre Vergangenheit beziehungsweise ihre Geschichte. Teil dieser Geschichte und vor allem Zeugnis für die nächsten Generationen sind die vorhandenen Kulturgüter überall auf der Welt. Kulturgüter sind historische Gegenstände und Gebäude, die einen kulturellen Wert für die Gesellschaft haben. Allerdings sind Kulturgüter in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten enorm durch mutwilliges Handeln oder grobe Fahrlässigkeit besonders im Zuge von Kriegen bedroht. Bei der Verhinderung der Zerstörung von Kulturgütern besteht eine politische und internationale Relevanz, da die gesamte Menschheit verliert, wenn tausende Jahre an Geschichte vernichtet werden. Um die Dringlichkeit zu erfassen, genügt ein Blick in die nahe Vergangenheit, beispielsweise auf die aktuelle Lage der Kulturgüter auf der Krim im Ukraine Konflikt. Dort sind Kulturgüterverletzungen und der Anspruch auf bestimmte Kulturgüter sowohl seitens der Ukraine sowie der Russischen Föderation ein zentrales Problem. Den dramatischen Höhepunkt fand die Zerstörung von Kulturgütern in den beiden Weltkriegen. Da die rechtliche Fragestellung bereits geklärt ist, sollte sich der Hauptausschuss 3 vor allem mit der konkreten Umsetzung und dem praktischen Schutz von Kulturgütern beschäftigen.

2. Hintergrund und Grundsätzliches

Die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Englisch: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, UNESCO) ist das zuständige Unterorgan der Vereinten Nationen für diese Thematik. Die UNESCO arbeitet dabei eng mit dem Internationalen Komitee vom Blauen Schild (Englisch: Blue Shield International) zusammen. Ein*e Generalkommissar*in ist für die Koordination der Zusammenarbeit zuständig. Dieser wird von dem*der Generaldirektor*in der UNESCO ernannt. Die Blue Shield Organisation ist eine Nichtregierungsorganisation (Englisch: Non-Governmental Organisation, NGO), zudem ist sie auch eine UNESCO-affiliierte Organisation mit Sitz in Den Haag. Ihr Hauptziel ist der Schutz von Kulturgut und die Verhinderung von Zerstörung, Diebstahl und Plünderung dessen während bewaffneter Konflikte. Die Organisation leistet einen bedeutenden Teil zur praktischen Umsetzung der Konvention, da sie Mitarbeiter*innen der Organisation als neutrale Beobachter*innen in Krisenregionen schickt, die sich dort aktiv für den Schutz der vorhandenen Kulturgüter einsetzen. Solche Missionen werden oft gemeinsam und unter Kooperation zwischen der Blue Shield Organisation, der UNESCO und den UN zustande gebracht.

Die Fälle um zerstörte oder verschleppte Kulturgüter ziehen sich oft über Jahrzehnte in die Länge, da immer wieder verloren geglaubte Kulturgüter auftauchen und geklärt werden muss, was mit diesen geschieht. Oft kann nicht mehr eindeutig festgestellt werden, wem die Gegenstände mal gehörten, geschweige denn, wer heute ein Anrecht darauf hat. Auch wird durch aktuelle Kriege und die Zerstörung von Kulturgütern in diesen deutlich, dass durch die bisherigen Maßnahmen immer noch kein ausreichender Schutz gewährleistet ist. Beispiele aus der jüngeren Zeit dafür sind der Ukraine-Konflikt und der Konflikt in Syrien. Nach der Annexion der Krim von Russland entstehen dort viele Streitigkeiten: welcher Staat Anrecht auf die dortigen Kulturgüter hat und die Tatsache, dass alte Gebäude oder Bauwerke dort nun durch Russland renoviert werden. In Syrien, Palmyra, hat Daesh mit dem Tetrapylon und der Fassade des römischen Amphitheaters zwei weitere antike Monumente zerstört. Mit den Bauwerken wurde auch ihre 2000 Jahre alte Geschichte vernichtet, eine Zeitspanne, die kaum vorstellbar ist. Vergleichbar waren die Bauwerke mit der Akropolis in Athen, was noch stärker verdeutlicht, welch kultureller Schatz dort vorsätzlich vernichtet wurde. Laut einer Studie wurden zwischen 2011 und 2015 25% aller archäologischen Stätten in Syrien geplündert. Dabei ist auch hervorzuheben, dass alle Kriegsparteien daran beteiligt waren.  Diese Taten werden Kriegsverbrechen eingestuft, die von dem Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) geahndet werden können. Hierbei dient das Rom-Statut als Rechtsgrundlage, das Kriegsverbrechen in Artikel 8 (2) definiert.  

Am Beispiel von Daesh wird ein weiteres sehr aktuelles Problem deutlich: Für Terrorist*innen und nichtstaatliche Akteur*innen bietet der Schmuggel mit Kulturgütern eine sehr lukrative Finanzierungsmöglichkeit. Die meisten Kulturgüter werden nicht aus Prinzip zerstört, sondern, weil die Kriegsparteien Profit aus ihnen gewinnen wollen.  Nichtstaatliche Akteure stellen somit teilweise eine größere Gefahr dar. Wenn solche Kriegsparteien beteiligt sind, spricht man von asymmetrischen Konflikten. 

3. Aktuelles

Die Problematik um den Schutz von Kulturgütern ist schon lange bekannt. Die erste Friedenskonferenz zu diesem Thema fand im Jahre 1899 in Den Haag statt und brachte die erste Haager Konvention „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs“ hervor. Ein weiteres, bekannteres Abkommen ist die 1907 verabschiedete „Haager Landkriegsordnung“. In den nachfolgenden beiden Weltkriegen zeigte sich, dass die Vereinbarungen allerdings kaum eingehalten wurden und die Konvention somit kaum praxistauglich war. Vor dem Hintergrund der enormen Zerstörung von Kulturgut in den Weltkriegen wurde 1954 das „Haager Abkommen vom 14. Mai 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“ verabschiedet. Dieses beinhaltet 36 Artikel und wurde mittlerweile von 132 Staaten unterzeichnet. Betont wird darin, dass es im Interesse aller sei, vorhandenes Kulturgut zu schützen und schon in Friedenszeiten vorsorglich zu handeln, in dem man Grundlagen auf Gesetzesebene schaffe. So auch der Wortlaut der Präambel: „in der Überzeugung, dass jede Schädigung von Kulturgut, gleichgültig welchem Volke es gehört, eine  Schädigung des kulturellen Erbes der ganzen Menschheit bedeutet, weil jedes Volk seinen Beitrag zur Kultur der Welt leistet“. Allgemeine Schutzbestimmungen, Sonderschutz, Transporte und das Kennzeichnen von Kulturgütern sowie der Anwendungsbereich und die Durchführung der Konvention sind einige der übergeordneten Themen. Konkretisiert wird beispielsweise die Definition von bewegten und unbewegten Kulturgütern in Artikel 1a. Außerdem wurde ein international geltendes Symbol festgelegt, welches Kulturgüter kennzeichnen soll. Die Kennzeichnung von Kulturgut ist von großer Bedeutung, da ein nicht zu vernachlässigender Teil von Kulturgütern einfach aus Unwissenheit heraus zerstört wird. Mit der Kennzeichnung wird für jede*n, sofern das Zeichen bekannt ist, deutlich, dass es sich um Kulturgut handelt und es möglichst verschont bleiben sollte. Oft ist ein Kulturgut auch nicht als solches zu erkennen und mit der Kennzeichnung wird Klarheit geschaffen. 

Ein zweites Zusatzprotokoll, welches eine individuelle strafrechtliche Verantwortbarkeit und die Einrichtung eines zwischenstaatliches Komitees beinhaltet, wurde 1999 verabschiedet. Dies sind beides sehr bedeutende und weitreichende Maßnahmen. Die individuelle strafrechtliche Verantwortbarkeit sieht vor, dass einzelne Straftäter*innen für ihre Taten verantwortlich sind und somit angeklagt werden dürfen. Damit soll die Anonymität, die bisweilen zu stark vorhanden ist, ausgesetzt werden. Die Vertragsstaaten sind dazu aufgefordert, entsprechende nationale Gesetze zu erlassen und die Strafverfolgung durchzuführen. Das zwischenstaatliche Komitee besteht aus zwölf Regierungen und hat als permanentes Kontrollorgan die Aufgabe, die Einhaltung der Konvention zu überprüfen und eine Liste mit unter Schutz gestellten Kulturgütern zu führen. Neu gewählt wird das Komitee alle vier Jahre. Das Dokument wird als Ergänzung der Konvention von 1954 angesehen. Die Oberthemen lauten hier die Erweiterung der allgemeinen Schutzbestimmungen, der verstärkte Schutz, die strafrechtliche Verantwortlichkeit und Gerichtsbarkeit, Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten nicht internationalen Charakters, institutionelle Fragen und die Verbreitung von Informationen und internationalen Unterstützungen. Mit sogenannten Konflikten nicht internationalen Charakters sind innerstaatliche oder asymmetrische Konflikte gemeint, also beispielsweise Bürgerkriege. Die Problematik hierbei ist, dass die Vereinten Nationen aufgrund der Souveränität der Staaten, in denen Bürgerkriege stattfinden, weniger umfangreich eingreifen können. Die Haager Konvention von 1954 und das zweite ergänzende Protokoll von 1999 stellen die beiden rechtlichen Grundbausteine für den Schutz von Kulturgütern dar; sie sind die wichtigsten Dokumente im Umgang damit.

 

4. Probleme und Lösungsansätze

Auch wenn die Gesetzesgrundlage durch die Haager Konvention theoretisch besteht, wird sie praktisch kaum beachtet. Das erste und grundlegendste Problem ist, dass die Konvention von zu wenig Staaten ratifiziert wurde. Den Staaten muss klar gemacht werden, dass der Schutz von Kulturgut auch in ihrem Interesse ist. Des Weiteren sind die nationalen Gesetze zum Schutz von Kulturgut unzureichend oder gar nicht vorhanden, unter anderem weil es – aus Sicht vieler Staaten – schwerwiegendere und wichtigere Probleme gibt, die es zu lösen gilt. Zudem ist die Konvention zu unbekannt und es müsste mehr Aufklärungsarbeit, zum Beispiel bei Soldat*innen, über das geltende Recht und die drohenden Strafen geleistet werden. Beispielsweise könnte die Ausbildung der Soldat*innen eine Lehreinheit über den Schutz von Kulturgut beinhalten. 

Um Kulturgut in der Praxis zu schützen, müssen konkrete Maßnahmen getroffen werden. Ein sehr positives Beispiel dafür ist das allgemeine Kennzeichen und die Sonderschutz-Einstufung. Dadurch sind Kulturgüter besser als solche zu erkennen und werden von Kriegshandlungen verschont. Bei nicht beweglichem Kulturgut oder Transporten von Kulturgut ist eine Kennzeichnung, die auch aus der Luft erkennbar ist, von großer Bedeutung. Möglicherweise könnte man auch eine Art Mindestsicherheitsabstand zu Kulturstätten einführen. Militärstützpunkte müssten dann beispielsweise einen festgelegten Abstand zu nicht beweglichen Kulturgütern einhalten. Bewegliche Kulturgüter könnten theoretisch aus den Krisenregionen geschaffen werden. Allerdings ist hier das Problem, dass sie in der Krisenzeit woanders sicher verwahrt und danach sicher zurückgebracht werden müssen. Dies wirft eine Reihe von rechtlichen Fragen auf: Wer kümmert sich um den Abtransport, wo wird es verwahrt, wie kann gewährleistet werden, dass es an dem sicheren Ort auch wirklich sicher ist und wie gelangt es nach Kriegsende wieder zurück? All dies sind zu klärende Fragen, bei denen die UNESCO eine sehr wichtige Rolle spielen, da sie als neutrale Organisation agieren kann. 

Sehr problematisch sind auch illegale Ausgrabungen und der Schmuggel von Kulturgütern. Illegale Ausgrabungen führen unweigerlich zu einem großen Verlust von wichtigen Informationen für die Wissenschaft, da diese nicht nach wissenschaftlich, archäologischen Kriterien durchgeführt werden. Der Raub von Kulturgut führt außerdem zu weiterem Konfliktpotential vor Ort, da das Kulturgut oftmals eine große Bedeutung für die dort lebenden Gesellschaften hat. Vor allem aber muss die Aus- und Einfuhr von Kulturgütern besser überwacht und organisiert werden, um Schmuggel zu verhindern. Kriegerische Auseinandersetzungen oder schwache staatliche Strukturen führen dazu, dass geraubte Kulturgüter oftmals ohne größere Schwierigkeiten außer Landes geschafft werden können. Dabei sind allerdings auch die Empfängerstaaten von Kulturgütern in der Pflicht, die Herkunft der Kulturgüter zu überprüfen, die oftmals aus Krisenregionen dorthin gebracht werden, um dort mit hohem Profit versteigert oder verkauft zu werden. 

Bisher ist nur teilweise und auf nationaler Ebene erfasst, welche Kulturgüter existieren. Eine internationale Datenbank, in der alle beweglichen sowie unbeweglichen Kulturgüter aus der ganzen Welt verzeichnet sind, würde Übersicht verschaffen und die Nachverfolgung wesentlich erleichtern. Die Konvention selbst weist allerdings auch in Teilen noch Lücken auf. Beispielsweise werden asymmetrische Konflikte nicht bedacht, die Konvention ist zu unbekannt und wird zu wenig respektiert. Kurz gefasst hat die Konvention zu wenig Macht und Bedeutung. Eines der Ziele der Vereinten Nationen ist, neutral zwischen Konfliktparteien zu vermitteln. Dabei ist es allerdings von Nöten, direkt mit diesen zu kommunizieren, was insofern problematisch ist, da man sie damit  gewissermaßen anerkennt und mit ihnen Abmachungen treffen muss. Für den Ruf der UN ist es von großer Bedeutung, nur schlichtend einzugreifen und sich keinesfalls zu stark politisch einzumischen. Das ist ein schmaler Grat und das Gremium sollte Lösungen finden, wie die UN diesen einhalten kann, ohne ihre Kompetenzen auszuweiten.

 

5. Punkte zur Diskussion

Wie können Kulturgüter in der Praxis geschützt werden?

Wie kann die rechtliche Lage, insbesondere die Haager Konvention, verbessert und ausgebaut werden?

Wodurch kann man der Konvention mehr Macht und Bekanntheit verschaffen?

Was können die UN tun, um während eines Konfliktes die mutwillige, oder auch fahrlässige Zerstörung von Kulturgütern zu verhindern?

Wie kann man die UNESCO und die Blue Shield Organisation in ihrer Rolle stärken?

 

6. Lexikon

Affiliieren: Einer größeren Gemeinschaft angliedern. 

Asymmetrisch: ungleich; unsymmetrisch; verzerrt. Bis zum 20. Jahrhundert gab es hauptsächlich symmetrische Konflikte, also zwei Staaten, die sich bekriegt haben. Auch der erste und zweite Weltkrieg gehören zu diesen klassischen symmetrischen Konflikten, da zwar mehr Akteure beteiligt waren, es aber trotzdem nur wenige nichtstaatliche Interessensgruppen gab. In den letzten Jahrzehnten wendete sich das und mittlerweile gibt es hauptsächlich asymmetrische Konflikte. Das sind solche, in denen mindestens ein nichtstaatlicher Akteur beteiligt ist. 

Daesh: Häufig verwendete arabische Bezeichnung für den sogenannten Islamischen Staat – der Name hat im Arabischen eine negative Konnotation und wird von der Terrororganisation selbst abgelehnt. 

Ratifizieren: Einen völkerrechtlichen Vertrag rechtskräftig und verbindlich machen und in nationales Recht übernehmen

Souveränität: Souveränität bedeutet, dass ein Staat innerhalb der eigenen Grenzen und gegenüber anderen Staaten unabhängig agieren kann und in der Ausübung seiner Staatsgewalt frei ist. Es ist Staaten allerdings möglich, Souveränität bewusst an andere abzugeben und so ihre Souveränität einzuschränken. 

 

7. Wichtige Dokumente

Wortlaut der Haager Konvention auf Englisch: http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=13637&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html.  

Haager Konvention auf Deutsch und das zweite Zusatzprotokoll: https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Publikationen/Sonstiges/Schutz_von_Kulturgut_bei_bewaffneten_Konflikten.html.

 

8. Quellen und weiterführende Links

International Red Cross Organisation, Protection of cultural property in the event of cultural conflict, 29.20.2010, https://www.icrc.org/en/doc/war-and-law/conduct-hostilities/cultural-property/overview-cultural-property.htm – kurze Einführung ins Thema (Englisch). 

Dr. Kateryna Busol, Analyse: Kunst Im Krieg: Die ukrainischen Kulturgüter auf der besetzten Krim, 9.11.2018, https://www.bpb.de/internationales/europa/ukraine/279920/analyse-kunst-im-krieg-die-ukrainischen-kulturgueter-auf-der-besetzten-krim – vertiefende Informationen zum Ukraine Konflikt im Hinblick auf die Kulturgüter (Deutsch). 

Deutsche UNESCO Kommission, Zerstörung von Kulturstätten, https://www.unesco.de/kultur-und-natur/kulturgutschutz/zerstoerung-von-kulturstaetten – kurze Einführung ins Thema (Deutsch). 

Blue Shield, 2019, http://blauesschild.de/BS1996.html – Offizielle Website der Blue Shield Organisation (Deutsch). 

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