forum Leitlinien zum Umgang mit Gentechnologie

Einführung in das Thema

Hinweis: Hier gibt es das Handbuch zum Gremium

1. Einleitung

Über Jahrtausende hinweg hat der Mensch Pflanzen und Tiere bewusst gezüchtet, um willkommene Eigenschaften zu verstärken und unerwünschte verschwinden zu lassen, ob nun Nährstoffgehalt, Wachstumsrate oder auch den Anteil von unverdaulichen Nahrungsanteilen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat der Mensch sich nach und nach neue Technologien einfallen lassen, um schneller an das erwartete Ziel zu kommen. Nur zu welchem Preis?

 

2. Hintergrund und Grundsätzliches

Die Grundlage allen Lebens und auch die von einigen unbelebten Strukturen wie Viren bildet das Erbgut, die DNS oder RNS. Diese sind aus kleinen Untereinheiten, den Nucleotiden, aufgebaut, die unter anderem aus einer organischen Base bestehen. Die Basensequenz im Erbgut ist eine Anleitung für die Produktion von verschiedensten Proteinen, die die gesamte Struktur des Organismus bestimmen. Die Anfänge der Genmanipulation bildeten Strategien, die eher zufällig wirkten und schlecht gesteuert werden konnten: So wurden Organismen ionisierender Strahlung oder anderen Mutagenen ausgesetzt, die das Erbgut nachhaltig veränderten. Im Laufe der Zeit entwickelte die Forschung immer mehr Möglichkeiten, dem spezifischen Nutzen von einzelnen Genen auf den Grund zu gehen. Mit CRISPR/Cas9 (eine Technologie, die als “Gen-Schere” bekannt ist) kam zu Beginn des aktuellen Jahrzehnts nun die Möglichkeit, gezielt Gene auszuschneiden, zu kopieren und einzufügen. 

Den höchsten Bekanntheitsgrad hat wohl die grüne Gentechnik, die sich mit der Anwendung in der Landwirtschaft beschäftigt. Außerdem wird Gentechnik in der Industrie (weiß) und in der Umwelttechnik (grau) mehr und mehr eingesetzt. Der medizinische (rot) Bereich hat seine eigenen Richtlinien, weshalb er nicht Teil der Debatte sein sollte. Die Nutzung von Gentechnik und gentechnisch veränderten Organismen (GVOs) war niemals zuvor so voller Möglichkeiten und gleichzeitig so kontrovers.

 

3. Aktuelles

Bereits 2003 haben im Rahmen der Konvention über biologische Vielfalt 166 Staaten das Internationale Protokoll über die biologische Sicherheit (kurz: Cartagena-Protokoll) verabschiedet, das völkerrechtlich bindende Leitlinien zum Transport und Umgang mit GVOs enthält. Teil des Protokolls sind sehr umfangreiche Bestimmungen für die Risikoanalyse eines neuen GVOs, bevor dieser in Umlauf gebracht werden darf. Dort wird außerdem explizit erwähnt, dass ein GVO nachgewiesenermaßen sicher für die menschliche Gesundheit und Umwelt sein muss. Das Fehlen von wissenschaftlichem Konsens zu einem GVO bedeutet nicht, dass es kein Risiko gibt oder dieses akzeptabel wäre. 

Vor allem im landwirtschaftlichen Bereich ist Gentechnik ein heiß diskutiertes Thema: Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace sagen, dass gentechnisch veränderte Arten Heimpopulationen weiter verdrängen und noch schädlicher als Monokulturen sein könnten. Diese Schädigung der Biodiversität könnte für eine grobe Störung im ökologischen Gleichgewicht sorgen und so unter anderem das Bienensterben beschleunigen. Verschiedene Standpunkte gibt es auch bezüglich der Nutzung von Pestiziden und GVOs. Kritiker*innen von GVOs führen an, dass bei der Nutzung von GVOs immer mehr Pestizide verwendet werden, da die GVOs häufig immun gegen diese sind und der Ertrag durch mehr Pestizidnutzung gefördert wird. Mehr Pestizide verschmutzen jedoch den Boden und die Gewässer. Außerdem schaden Pestizide häufig auch den heimischen Pflanzenarten und stellen somit ein weiteres Risiko für die Biodiversität von Pflanzen und Insekten dar. Entgegen dieser Annahme können GVOs allerdings auch zur Reduktion von Pestiziden genutzt werden, indem Pflanzenarten gegen Parasiten resistent gemacht oder Bakterien modifiziert werden, um die Aufgaben der Pestizide zu übernehmen, dabei aber dem Rest des Ökosystems nicht zu schaden. 

Ebenso wie die meisten Nichtregierungsorganisationen stehen die Europäische Union (EU) und die Europäische Freihandelsassoziation (Englisch: European Free Trade Association, EFTA) Gentechnik eher skeptisch gegenüber: Dort gibt es die strengsten Gesetze zum Umgang mit GVOs weltweit, bei denen die Sicherheit des*der Verbraucher*in und des Ökosystems an erster Stelle stehen. 

Abgesehen von den biologischen Risiken können GVOs zu Abhängigkeitsverhältnissen führen. Viele kleinere Landwirte befinden sich bereits jetzt in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Großunternehmen, die ihr Saatgut produzieren. Da aufgrund des Patentrechts in vielen Staaten die erneute Aussaat von gekauften Samen verboten ist und traditionelle Arten häufig durch geringeren Ertrag nicht mithalten können, sehen sich viele Landwirte dazu gezwungen, diese Saaten immer wieder zu kaufen. 

Für Staaten wie die USA, Indien und China, die bereits große Massen an GVOs produzieren und exportieren, spielen die wirtschaftlichen Interessen eine maßgebliche Rolle bei der Gesetzgebung. Allerdings führen gerade die trotzdem noch strengen Auflagen und wenig staatliche Förderung dazu, dass sich dort nur milliardenschwere Unternehmen wie Monsanto eine intensive Forschung zu und Entwicklung von GVOs im landwirtschaftlichen Bereich leisten können, was sich in einer problematischen internationalen Monopolentwicklung widerspiegelt. 

Der globale Süden begibt sich aufgrund der Nahrungsmittelknappheit in eine wirtschaftliche Abhängigkeit von privaten Unternehmen aus Industrienationen, aus der es wegen fehlender Forschungsgelder und Personalmangels aufgrund von weniger Bildungsmöglichkeiten und Talentflucht momentan keinen Ausweg zu geben scheint. 

Das Nagoya-Protokoll von 2010 ist der erste Versuch, gegen diese Ungleichheiten zu arbeiten. Mit ihm soll der gerechte Zugang zu genetischen Ressourcen und ein angemessener Vorteilsausgleich geregelt worden sein. Das Protokoll trat allerdings erst 2014 in Kraft und an seiner Umsetzung wird momentan noch gearbeitet.

Obwohl die Liste der Probleme lang zu sein scheint, kann die Nutzung von GVOs zu umfangreichen Neuerungen führen:  Sie können unter anderem die Ernährungssicherheit der Weltbevölkerung mit nährstoffreichen Lebensmitteln ermöglichen, wie man an der Entwicklung vom “Goldenen Reis” beobachten kann. Aufgrund seiner genetischen Modifizierung enthält dieser eine Vorform von Vitamin A, wodurch er das Erblinden von tausenden Kindern jedes Jahr im ostasiatischen Raum verhindern könnte. In der (Umwelt-) Industrie gibt es die Möglichkeit der Herstellung von nachhaltigen biologischen Brennstoffen und die Herstellung von Chemikalien für günstige Düngemittel oder auch die Überwachung von Abbauprozessen. 

Einige behaupten, dass die strengen Richtlinien der EU/EFTA aus einer privilegierten Situation heraus entstanden sind, da die europäischen Staaten vergleichsweise wenige Probleme mit der angemessenen Lebensmittelversorgung ihrer Bevölkerung hätten. Grüne Nichtregierungsorganisationen, die sich stark gegen GVOs einsetzen, sorgten demzufolge zudem durch ihren ideologisch geprägten Aktivismus dafür, dass jedes Jahr die Vorteile der GVOs nicht genutzt werden können. 

 

4. Probleme und Lösungsansätze

Aufgrund der rasanten Entwicklung der Gentechnik und ihrer Möglichkeiten sind verschiedene Probleme aufgetreten, die zu der Zeit der Entstehung des Cartagena-Protokolls noch nicht direkt vorhersehbar waren. 

Einige Staaten gehen mit dem Strom der Zeit und haben eine sehr liberale Einstellung zu Gentechnik, selbst wenn sie dadurch erhebliche Risiken eingehen, andere halten an konservativen Richtlinien fest. So kommt es zu einer immer größeren Disparität zwischen einzelnen Staaten, die letztlich auch einen großen Einfluss auf die Forschungsmöglichkeiten hat. Oftmals ist der intellektuelle und wissenschaftliche Diskurs eingeschränkt und Forschungsergebnisse werden unter anderem durch ungleiche Richtlinien und deutliche wirtschaftliche Interessen nicht geteilt. Dies führt auch dazu, dass Staaten des globalen Südens mit schlechterer wirtschaftlicher Lage in der gentechnischen Forschung weit hinter Industrienationen liegen. 

Wirtschaftliche Interessen spielen allerdings auch eine Rolle beim Patentrecht, das im Zusammenhang mit grüner Gentechnik besonders spannend ist. Sollte es überhaupt Patente auf Saatgut geben dürfen? Wenn ja, wie sollen sie durchgesetzt werden? Diese Fragen sind nicht nur auf nationaler Ebene Quelle vieler Klagen und Konflikte, denn international haben Patente auf spezielle GVOs dafür gesorgt, dass sich ganze Staaten auf dem Weg zur Abhängigkeit von einzelnen Konzernen befinden. Diese Abhängigkeit bezieht sich sowohl auf die Landwirte, die nur mit GVOs konkurrenzfähig sind, als auch auf die allgemeine Bevölkerung, die auf die Nahrungsmittel angewiesen ist. Dabei können gerade GVOs die Möglichkeit bieten, den Welthunger effektiv zu bekämpfen oder unsere Umwelt wieder zu säubern, wovon die Weltgemeinschaft als Ganzes profitieren würde.

Es steht viel auf dem Spiel. Die Interessen von einzelnen Akteur*innen sind selten transparent und im Hinblick auf die rasante Forschungsgeschwindigkeit und zunehmende Globalisierung ist es umso wichtiger, internationale Regeln für das Forschen an und Verwenden von GVOs aufzustellen – Nichtstun ist angesichts der möglichen Folgen keine Option.

 

5. Punkte zur Diskussion

Die Staatengemeinschaft steht vor verschiedenen Problemen und Fragestellungen:

Sollten im Hinblick auf die Entwicklungen der letzten 20 Jahre die Bestimmungen für GVOs gelockert oder deren Entwicklung stärker beschränkt werden?

Wie kann sichergestellt werden, dass die Gesundheit und Vielfalt in der Biosphäre nicht durch GVOs bedroht wird?

Wie sollte mit privaten Akteur*innen umgegangen werden, die sich auf eine Monopolstellung in der globalen Nahrungsmittelindustrie hinbewegen?

Wie kann Forschung und Wissenstransfer im Bereich der Gentechnik so betrieben werden, dass die gesamte Weltgemeinschaft davon profitiert?

Wie kann die Staatengemeinschaft die Diskrepanz zwischen dem globalen Süden und den Industrieländern aufarbeiten, wenn es um Gentechnikforschung geht?

Wie kann ein internationales Patentrecht im Bezug auf GVOs in der Landwirtschaft aussehen, das weder Saatproduzent*innen noch Landwirte benachteiligt?

Wie viel Freiheit soll den einzelnen Staaten im Umgang mit GVOs gewährleistet werden?

Inwiefern können GVOs eine Rolle bei dem Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele spielen?

 

6. Lexikon

Biodiversität: Artenvielfalt 

Disparität: Ungleichheit 

DNS: Desoxyribonucleinsäure, die Gesamtheit des Erbguts. 

Europäische Freihandelsassoziation (EFTA): Ihr gehören (Stand 2019) die Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweden an. Sie beschäftigt sich mit dem Handel zwischen den vier Staaten und dem Handel mit Externen, sogenannten Drittstaaten. 

Gen: Funktioneller Abschnitt der DNS, der für Proteine kodiert. 

Gentechnisch veränderter Organismus: Kurz GVO, ein Lebewesen, dessen Erbgut durch Gentechnik verändert wurde. Ein gutes Beispiel aus dem medizinischen Bereich ist Insulin. Die menschlichen Gene, die der Bauplan für das Hormon Insulin sind, werden in das Erbgut von Hefen oder Bakterien eingefügt, welche dann menschliches Insulin produzieren.

Globaler Süden: Eine von der Weltbank eingeführte Definition, die versucht, eine wertfreie Einteilung von benachteiligten und privilegierten Staaten vorzunehmen. Den Ländern des Globalen Südens werden dabei die Entwicklungs- und Schwellenländer, dem Globalen Norden die Industriestaaten zugeordnet.

Ionisierende Strahlung: Hochenergetische Strahlung, die Erbgut beschädigen und dadurch verändern kann (z.B. UV-Strahlung, Röntgenstrahlung, radioaktive Materialien, etc.). 

Monokultur: Anbau von einer einzigen Pflanzenart im großen Stil, z.B. Bananen, Ananas, Weizen. 

Monopol: (Fast) alleinige*r Anbieter*in eines Guts oder einer Dienstleistung, der*die demzufolge keine Konkurrenz in der Marktwirtschaft hat. 

Monsanto: Milliardenschweres Unternehmen aus den Vereinigten Staaten, das sich auf grüne Gentechnik spezialisiert hat und inzwischen von der Bayer AG übernommen wurde. 

Mutagen: Ein Stoff/eine Form von Energie, der/die das Erbgut verändert. 

Nagoya-Protokoll: Das Nagoya-Protokoll wurde auf der zehnten Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt im Jahr 2010 abgeschlossen. Es regelt den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile, die sich aus ihrer Nutzung ergeben. Häufig existieren in biodiversitätsreichen Weltregionen – zum Beispiel in Regenwäldern oder Korallenriffen – Pflanzen mit besonderen Eigenschaften. Diese können etwa zu Arzneimitteln oder Kosmetikprodukten weiterverarbeitet werden. Ziel des Nagoya-Protokolls ist es einerseits, zu gewährleisten, dass der Zugang zu solchen genetischen Ressourcen zu fairen und transparenten Bedingungen möglich ist. Andererseits sollen die Herkunftsländer in gerechter Weise an den Vorteilen, die sich aus der Nutzung ihrer Ressourcen ergeben, beteiligt werden. Auf diese Weise wird in den Herkunftsländern auch ein ökonomischer Anreiz für den dauerhaften Erhalt von biologischer Vielfalt gesetzt (Quelle: Bundesministerium für Umwelt).

Nucleotid: Baustein der DNS, besteht aus einem Phosphorrest, einem Zucker und einer organischen Base. 

Organische Base: Kleinster Baustein der DNS. 

RNS: Ribonucleinsäure, Erbgut in einer anderen Form, z.B. zum Herstellen von Proteinen oder als einzige Form des Erbguts bei einigen Organismen. 

Völkerrechtlich bindend: Bedeutet, dass alle Staaten, die ein Abkommen unterzeichnet haben, verpflichtet sind, sich an die Bestimmungen des Abkommens zu halten. 

Wissenschaftlicher Konsens: Breite Übereinstimmung der Wissenschaft (auch international). 

 

7. Wichtige Dokumente 

Convention on Biological Diversity, 2019, https://www.cbd.int – offizielle Seite der Konvention über biologische Vielfalt. Dort finden Sie alle erwähnten Protokolle (Englisch). 

Convention on Biological Diversity, 2019, http://bch.cbd.int/protocol/text/ Text des Cartagena-Protokolls (Englisch).

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Nagoya Protokoll, 2019, https://www.bmu.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/biologische-vielfalt-international/nagoya-protokoll/ – Text des Nagoya Protokolls und weitere Informationen zu diesem (Deutsch). 

 

8. Quellen und weiterführende Links

Bundeszentrale für politische Bildung, Gentechnologie, 2019, https://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/bioethik/271225/gentechnologie – Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema Gentechnologie. Dort finden sich viele verständlich geschriebene Texte zum Thema Gentechnologie; stellt einen guten Startpunkt für die weitere Recherche dar (Deutsch). 

European Commission, GMO legislation, 2019, https://ec.europa.eu/food/plant/gmo/legislation_en – Zusammenfassung der EU-Richtlinien zu GVOs von der offiziellen Seite der EU-Kommission (Englisch). 

Golden Rice Project, The Golden Rice Project, 2019, http://goldenrice.org – Informationen zum GVO Goldener Reis und seine möglichen positiven Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion im Globalen Süden (Englisch). Golden Rice Project, The Golden Rice Project, 2019, http://goldenrice.org – Informationen zum GVO Goldener Reis und seine möglichen positiven Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion im Globalen Süden (Englisch).

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