forum Zivilgesellschaftliche Akteure in den Vereinten Nationen

Einführung in das Thema

Einleitung

„Wir, die Völker der Vereinten Nationen“. So beginnt die Charta der Vereinten Nationen und macht damit deutlich, dass die Vereinten Nationen (United Nations, UN) nicht nur ein politisches Bündnis aus Staaten sind, sondern eine normative Gemeinschaft, die alle Dimensionen der Gesellschaft umfasst. Diese setzt sich aus 1. der Regierung, 2. der Wirtschaft und 3. der Zivilgesellschaft zusammen. Um auf internationaler Ebene Einfluss nehmen zu können, organisiert sich die internationale Zivilgesellschaft in sogenannten zivilgesellschaftlichen Organisationen (Civil Society Organisations, CSOs) und Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organisations, NGOs). CSOs und NGOs haben verschiedene Möglichkeiten, sich an der Arbeit der UN zu beteiligen und diese zu unterstützen. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat es immer wieder Bestrebungen gegeben, die Rolle der Zivilgesellschaft in den UN zu stärken. Jedoch sind diese bisher ohne weitreichende Folgen geblieben. Im Folgenden soll erörtert werden, welchen Problemen sich CSOs und NGOs bei der Partizipation in den UN stellen müssen und es sollen Lösungsansätze herausgearbeitet werden, um dem entgegenzuwirken.

Hintergrund und Grundsätzliches

Zivilgesellschaft bildet den Rahmen, in dem sich bürgerschaftliches Engagement entfalten kann. Das bedeutet, dass der Begriff Zivilgesellschaft Vereine, Stiftungen, Initiativen, NGOs und Nonprofit-Organisationen (NPOs) einschließt. Sie alle können unter dem Akronym CSOs zusammengefasst werden. Die Funktionen, die CSOs in der Politik übernehmen können, sind vielfältig. Zum Beispiel fungieren sie als „Gewissen“ von Staaten, indem sie deren Handeln öffentlich machen und Fehlverhalten anprangern, oder sie bereichern politische Entscheidungsprozesse durch ihre Erfahrungen und Expertise. Um diese Funktionen innerhalb der UN ausüben zu können, gibt es für CSOs die Möglichkeit, beim Wirtschafts- und Sozialrat (Economic and Social Council, ECOSOC) Beraterstatus zu erlangen (Akkreditierung) oder mit der Zivilgesellschaftlichen Einheit der Hauptabteilung für Globale Kommunikation (Department of Global Communications, DGC) zusammenzuarbeiten. Beim ECOSOC akkreditierte Organisationen haben die Chance, an formellen Anhörungen, Expert*innentreffen und an informellen Beratungen zwischen Mitgliedstaaten teilzunehmen. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, dass Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats Individuen, Organisationen oder Institutionen zu informellen Treffen des Sicherheitsrats einladen, um deren Expertise einzuholen oder Angelegenheiten zu diskutieren. Gelegentlich können diese Treffen dazu dienen, eine offene Debatte im Sicherheitsrat vorzubereiten und inhaltlich zu unterfüttern. Diese Form der informellen, vertraulichen Zusammenkunft ist als „Arria Formel“ bekannt. Benannt wurde sie nach dem ehemaligen Präsidenten des Sicherheitsrates Diego Arria, der solche Treffen im März 1992 initiierte.

Bereits im Jahr 2004 wurde vom Ausschuss hochrangiger Persönlichkeiten ein Expertenbericht (Cardoso-Bericht) zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure und deren Zusammenarbeit mit den UN vorgelegt. Im Cardoso-Bericht betont der Ausschuss das strukturelle Demokratiedefizit in internationalen Organisationen. Dieses bezieht sich im Falle der UN im Wesentlichen auf die Beschaffenheit des Sicherheitsrats aus ständigen Mitgliedern mit Veto-Recht, die eine substanzielle Reform des Gremiums blockieren. Das sorgt für ungerechte Einflussmöglichkeiten des Rates gegenüber anderen Mitgliedstaaten und sonstigen Akteuren. Weiterhin ist im Cardoso-Bericht festgehalten, dass eines der zentralen Prinzipien von repräsentativer Demokratie die Einbindung von Bürger*innen in Entscheidungen ist, von denen sie direkt betroffen sind. Darauf aufbauend betont der Bericht die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, um die Demokratie an heutige Gegebenheiten und Bedürfnisse anzupassen.

Ganz allgemein kann diskutiert werden, ob die Beteiligung der Zivilgesellschaft an Entscheidungsprozessen innerhalb der UN dazu beitragen kann, deren Legitimationsgrad zu erhöhen. Einerseits tragen CSOs Stimmen aus dem Volk zu verschiedensten Fragestellungen an die Gremien heran, die die Bürger*innen direkt betreffen. Andererseits sind auch die Vertreter*innen der CSOs nicht demokratisch legitimiert.

Aktuelles

Im November 2019 hat ein Zusammenschluss aus den Organisationen Democracy International, Democracy without Borders und CIVICUS sowie über 180 anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen die UN in einer globalen Kampagne unter dem Titel „Wir, die Völker“ dazu aufgefordert, eine „Weltbürger*inneninitiative“ zu gründen. Dieses Instrument soll es Bürger*innen ermöglichen, Vorschläge für die Tagesordnung der Generalversammlung und des Sicherheitsrates einzubringen, die dann aufgenommen und diskutiert werden müssen, wenn diese Vorschläge eine bestimmte Anzahl von Stimmen aus einer bestimmten Anzahl von Ländern aufweisen kann.  Dadurch soll gewährleistet werden, dass die UN offener und für die Bevölkerung zugänglicher wird. Als Vorbild dient dabei die Europäische Bürgerinitiative, die nach einem vergleichbaren Prinzip funktioniert: Sobald für ein Anliegen mindestens eine Million Unterschriften aus mindestens sieben EU-Mitgliedsstaaten gesammelt wurden, können Unionsbürger*innen der Europäischen Kommission auf diesem Wege Rechtsvorschriften vorschlagen.

Auch die Rolle der Jugend in demokratischen Prozessen bekommt immer mehr Bedeutung zugesprochen. Ein wichtiger Grund dafür sind die verschiedenen Auswirkungen, die die Globalisierung auf junge Männer und Frauen hat. Deshalb ist es essentiell, möglichst diverse Partizipationsmöglichkeiten für die Jugend zu schaffen. Über die bloße Interessenvertretung hinaus werden Vertreter*innen der Jugend auch als Agent*innen für sozialen Wandel, wirtschaftliches Wachstum und technologische Innovation betrachtet. Auch wenn sie noch nicht dasselbe Maß an Erfahrung wie manche alteingesessenen Entscheidungsträger*innen mitbringen, stellen sie ein vielfältiges Spektrum an Expertise bereit und haben einen anderen Blick für wichtige Themen der Zukunft. Als jüngstes Beispiel kann hier die Youth Advisory Group on Climate Change genannt werden, die UN-Generalsekretär António Guterres im Juli 2019 ins Leben gerufen hat, um einen offenen und transparenten Dialog zwischen Jugendlichen und hochrangigen Entscheidungsträger*innen in Fragen der Klimakrise zu schaffen.

Probleme und Lösungsansätze

Wenn CSOs sich um die Akkreditierung beim ECOSOC bewerben, wird vom NGO-Komitee des ECOSOC entschieden, welche Organisationen für den Erhalt des Beraterstatus empfohlen werden. Dieses Komitee besteht aus 19 Staaten, die für je vier Jahre gewählt werden. Um eine geografisch gerechte Repräsentation zu gewährleisten, müssen immer 5 afrikanische Staaten, 4 asiatische Staaten, 2 osteuropäische Staaten, 4 lateinamerikanische Staaten und 4 westeuropäische und andere Staaten vertreten sein. So kommt es aber, dass Staaten über die Akkreditierung von Organisationen entscheiden dürfen, die eine andere politische Agenda verfolgen als sie selbst und somit die Möglichkeit bekommen, deren Einflussnahme zu behindern. Dieser Umstand ist vor allem für Menschenrechtsorganisationen häufig problematisch. In der Arbeitsweise des NGO-Komitees sah der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon 2016:

„ein beunruhigendes Muster von Aktionen gegen Nichtregierungsorganisationen, deren Arbeit für den Fortschritt in der ganzen Welt und sogar innerhalb der UN wesentlich ist. [...] Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser autoritäre Impuls die NGOs zum Schweigen bringt.”

Eine potentielle Lösung könnte hier die Definition von klaren Kriterien zur Akkreditierung durch das NGO-Komitee bieten. Außerdem wäre es hilfreich für den Akkreditierungsprozess, ein höheres Maß an Konsistenz und Transparenz zu schaffen.

Die im Abschnitt “Hintergrund und Grundsätzliches” erwähnten Arria-Formel-Treffen zwischen CSOs und dem Sicherheitsrat bedürfen immer der Initiative eines Mitgliedstaates des Sicherheitsrats. Das bedeutet, dass es für die Zivilgesellschaft keine rechtlich geregelte Möglichkeit gibt, auf die Arbeit des Sicherheitsrats Einfluss zu nehmen (siehe Weltbürger*inneninitiative). Da die Treffen des Sicherheitsrats immer in New York stattfinden, begünstigt dies die Beteiligung von ressourcenstarken Organisationen, die einen Sitz in New York haben. Außerdem führt der Umstand, dass die Organisationen nur auf Wunsch von Mitgliedstaaten an solchen Treffen teilnehmen, dazu, dass im Zweifel nur ein bestimmter Teil der öffentlichen Meinung zur Sprache kommt. Eine Lösung für dieses strukturelle Problem könnte die im Abschnitt “Aktuelles” erwähnte Weltbürger*inneninitiative bieten. So könnte die Zivilgesellschaft direkten Einfluss auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats und der Generalversammlung nehmen.

Ein weiteres Phänomen, dass die Partizipation von CSOs maßgeblich erschwert, ist die zunehmende Einschränkung von zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräumen. Dieses Phänomen wird auch als shrinking space bezeichnet. Darunter versteht man nicht nur die Einschränkung der Arbeit von CSOs durch bürokratische und gesetzliche Hürden wie zum Beispiel Überwachung, Sperrung von Bankkonten und Reiseverbote, sondern auch persönliche Angriffe wie öffentliche Diffamierung und Einschüchterung bis hin zu Verhaftung und Ermordung. Dies betrifft in erster Linie Individuen und Organisationen, die die Macht von Eliten infragestellen, Menschenrechte einfordern oder Verteilungsungerechtigkeit anprangern. Zum Beispiel wurden in Kolumbien seit der Unterzeichnung des Friedensvertrags im November 2016 über 300 Vertreter*innen von CSOs ermordet und viele weitere bedroht.

Punkte zur Diskussion

●     Kann das Demokratiedefizit der UN durch die verstärkte Einbindung der Zivilgesellschaft überwunden werden?

●     Wie kann dem shrinking space der Zivilgesellschaft entgegengewirkt werden?

●     Wie kann der Akkreditierungsprozess für CSOs beim ECOSOC weiterentwickelt werden, um den bestehenden strukturellen Problemen entgegenzuwirken?

●     Wo gibt es noch Verbesserungspotenzial für Jugendpartizipation innerhalb der UN?

●     In welchen Bereichen der UN könnte eine verstärkte Jugendpartizipation wichtige Veränderungen bringen?

Lexikon

Akkreditierung beschreibt die Bescheinigung von bestimmten Kompetenzen oder die Zulassung zu etwas. Im hier genannten Zusammenhang beschreibt es den Prozess, der dazu führt, dass eine CSO den Beraterstatus beim ECOSOC erlangt.

Normativ heißt, dass die UN eine Gemeinschaft ist, die auf gemeinsamen Werten basiert und die gemeinsame Richtlinien für ihre Mitglieder definiert.

Zivilgesellschaft umschreibt den Bereich, der zwischen dem staatlichen, wirtschaftlichen und privaten Sektor angesiedelt ist. Sie umfasst die Gesamtheit des Engagements der Bürger*innen, also zum Beispiel Vereine, Initiativen und soziale Organisationen.

Wichtige Dokumente

Resolution der Generalversammlung: Policies and Programmes involving Youth (A/RES/58/133) http://undocs.org/A/RES/58/133

Cardoso-Bericht (A/58/817) https://undocs.org/A/58/817

Quellenangaben und weiterführende Links

Zumach, A., Das Ohr an den Völkern, Genf, https://taz.de/Zivilgesellschaft-und-UNO/!5642308/ – Kurzer Artikel über die Kampagne zur Gründung einer Weltbürger*inneninitiative (Deutsch).

https://www.worldcitizensinitiative.org/files/unwci_study.pdf – Bericht über die Kampagne zur Weltbürger*inneninitiative inklusive kompakter Hintergrundinformationen und Machbarkeitsstudie (Englisch).

Zimmer, A. Verschiedene Dimensionen der Zivilgesellschaft, 2012, https://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138713/dimensionen – Abgrenzung von handlungs- und akteursorientierter Zivilgesellschaft (Deutsch).

Adams, B., A Committed and Determined Ally for the World’s most impossible Job, 2017, http://www.civicus.org/images/CivilSocietyEngagementWithUN.pdf – Artikel über die Bedeutsamkeit von CSOs für die schwierigen und umfangreichen Aufgaben der UN (Englisch).

Openshaw, E., Overcoming the Politics of the UN’s NGO Committee, 2017, http://www.civicus.org/images/CivilSocietyEngagementWithUN.pdf – Artikel über die Probleme beim Erlangen des Beraterstatus durch die Strukturen des NGO Comittee (Englisch).

Security Council Report, Arria-Formula Meetings, 2020, https://www.securitycouncilreport.org/un-security-council-working-methods/arria-formula-meetings.php – Hintergrund und Beispiele für Arria Formel Treffen (Englisch).

FriNet, Prävention und Friedensförderung in Zeiten von Shrinking Space, 2018, https://www.boell.de/sites/default/files/frient_briefing_13_praevention_und_friedensfoerderung_in_zeiten_von_shrinking_space.pdf?dimension1=ds_shrinking_de – Briefing der FriNet Vereinigung zu shrinking space und dessen Bedeutung für friedenserhaltende Maßnahmen (Deutsch).

DGVN, Die Zivilgesellschaft und die Vereinten Nationen, 2017, https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/suche/zvn/heft/vereinte-nationen-heft-22017/ – Zeitschrift mit Kapiteln, die guten Überblick über Einbeziehung von Zivilgesellschaft in die UN bietet (Deutsch).

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