forum Erfahrungen aus den UN-Missionen in Haiti

Einführung in das Thema

Einleitung

 

“Die Vereinten Nationen sind hergekommen, um uns zu schützen, aber alles, was sie uns gebracht haben, ist Zerstörung.” – Diese Aussage stammt von Melida Joseph, einer Haitianerin, die die negativen Folgen der Friedensmissionen der Vereinten Nationen (United Nations, UN) in Haiti unmittelbar zu spüren bekommen hatte: Sie wurde von einem Blauhelmsoldaten vergewaltigt.

 

Dieser negative Blick auf UN-Friedensmissionen ist in Haiti kein Einzelfall. Unzählige Punkte – darunter Menschenrechtsverletzungen, sexuelle Gewalt, Gewalt gegenüber Zivilist*innen, der Vorwurf der Parteilichkeit und der wahrscheinliche Import von Cholera nach Haiti – führten dazu, dass die Bevölkerung den UN inzwischen vorrangig Misstrauen entgegenbringt.

 

Die UN-Missionen in Haiti wurden inzwischen größtenteils zurückgefahren, da sie viele ihrer Ziele umgesetzt haben. Die Kommission für Friedenskonsolidierung (KFK) soll daher nicht versuchen, die Probleme der Missionen in Haiti zu lösen – das ist heute nicht mehr möglich. Stattdessen soll die KFK Lehren aus den Missionen ziehen: Welche Probleme sind aufgetreten und wie hätten diese verhindert werden können? Was würde die KFK daher empfehlen, bei der Planung und Durchführung von anderen Friedenskonsolidierungsmissionen weltweit zu beachten?

 

Hintergrund und Grundsätzliches

 

Haiti ist ein Inselstaat im atlantischen Ozean. Nach französischer Kolonialherrschaft wurde der Staat 1804 als eine der ersten Kolonien weltweit unabhängig; erst 1915 bis 1934 wurde Haiti wieder von den USA besetzt.

In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg war Haiti mit schweren innenpolitischen Machtkämpfen konfrontiert. Im September 1993 wurde auf Bitte des Präsidenten Haitis, Jean-Bertrand Aristide, die erste UN-Friedensmission in Haiti etabliert: Die UN Mission in Haiti (UNMIH). Sie sollte Hilfe bei der Modernisierung des Militärs und beim Aufbau einer neuen Polizei leisten und die Regierung bei der Durchführung von Wahlen unterstützen. Da das Mandat der UNMIH mit der erfolgreichen Durchführung der Parlamentswahlen 1995 erfüllt war, wurden im Zeitraum von 1995 bis 2001 insgesamt vier Nachfolgemissionen eingesetzt: Die UN Support Mission in Haiti (UNSMIH) (07/1996 - 07/1997), die UN Transition Mission in Haiti (UNTMIH) (08 - 11/1997), die UN Civilian Police Mission in Haiti (MIPONUH) (12/1997 - 03/2000) und die International Civilian Support Mission in Haiti (MICAH) (03/2000 - 02/2001). Alle vier Missionen waren vor allem für den Wiederaufbau des Staates (Militär, Polizei, Institutionen, Wirtschaft) zuständig – klassische Aufgaben der Friedenskonsolidierung.

 

Im Januar und Februar 2004 kam es zu einem gewaltvollen Aufstand gegen den Präsidenten Aristide, der dadurch ins Exil gezwungen wurde. Mit Zustimmung des Übergangsregimes wurde im Juni 2004 daraufhin eine neue UN-Mission, die UN Stabilisierungsmission in Haiti (MINUSTAH), stationiert. Ihr Mandat wurde nach Kapitel VII der UN-Charta verabschiedet und bestand vor allem aus drei Aufgaben: ein sicheres und stabiles Umfeld für die politischen Prozesse in Haiti zu schaffen, Unterstützung bei der Organisation und Durchführung von Wahlen zu leisten und Menschenrechte zu überwachen und durchzusetzen.

 

In der Folgezeit wurde Haiti von schweren Umweltkatastrophen getroffen: 2008 von vier Hurrikans, 2010 von einem schweren Erdbeben, in dessen Nachgang eine Cholera-Epidemie ausbrach, und 2016 vom Hurrikan Matthew. Diese andauernden und wiederkehrenden Katastrophen auf Haitis Boden führten dazu, dass Haiti von einer dauerhaften humanitären Katastrophe betroffen ist – mit schwerwiegenden Folgen beispielsweise für die Wirtschaft. So ist Haiti inzwischen das ärmste Land in der westlichen Hemisphäre, mit wenig Aussicht auf Besserung.

 

Da das Mandat von MINUSTAH vor allem Rechtsstaatlichkeit, Wahlen und Menschenrechtsschutz im Blick hatte und diese Aufgaben nach Auffassung des UN-Sicherheitsrates im Oktober 2017 erfüllt waren, wurde die Mission zu dem Zeitpunkt durch eine neue, kleinere UN-Mission ersetzt: Die UN Mission for Justice Support in Haiti (MINUJUSTH). Sie war mandatiert, der Regierung Haitis dabei zu helfen, rechtsstaatliche Institutionen zu stärken und die Menschenrechtssituation zu überprüfen. 2019 wurde dann auch diese Mission beendet und das UN Integrated Office in Haiti (BINUH) eingesetzt. Dieses hat primär eine beratende Rolle inne.

 

Aktuelles

 

Auch wenn die humanitäre Lage in Haiti weiterhin schlecht ist, sind sich Beobachter*innen der Situation einig, dass die UN-Friedensmissionen das Land politisch stabilisieren und die Sicherheit der Bevölkerung zumindest in Teilen wiederherstellen konnten. Dennoch gibt es viele Kritikpunkte an den Missionen.

 

Diese betreffen zunächst die Stationierung von UN-Missionen allgemein. Von Beginn an wurden diese von der Bevölkerung Haitis als weitere Besetzung durch eine ausländische Macht angesehen – im Nachgang der Kolonialherrschaft Frankreichs und der Besatzung durch die USA. Zudem wurde insbesondere der MINUSTAH (2004 – 2017) Parteilichkeit vorgeworfen: Aus Sicht der Bevölkerung trat die Mission vor allem auf Seite der Regierung auf und setzte Gewalt einseitig gegen einige, nicht auf Seiten der Regierung agierende Gruppen ein. Dies schränkte die Legitimität der Mission aus Sicht der Bevölkerung stark ein; 2010 gab es sogar Demonstrationen gegen die UN-Präsenz.

 

Zudem werfen viele Haitianer*innen den UN-Missionen Menschenrechtsverletzungen vor, insbesondere Gewalt gegenüber Zivilist*innen und sexuelle Gewalt bzw. sexuellen Missbrauch. So wurden 2005 bei Maßnahmen der UN gegen kriminelle Gangs in Haitis Slum Cité Soleil insgesamt über 22.000 Schuss Munition abgefeuert. Dabei wurden mehr als 20 Frauen und Kinder getötet, die an der Gang-Kriminalität nicht beteiligt waren.

Zudem haben zwischen 2004 und 2007 über 100 sri-lankische Soldaten mindestens neun Kinder systematisch missbraucht. Nach UN-Untersuchungen wurden 114 Soldaten nach Hause geschickt; von ihnen hat keiner eine Gefängnisstrafe verbüßen müssen. Es gibt zudem weitere Vergewaltigungsvorwürfe, insbesondere gegen Soldaten aus Sri Lanka, Uruguay und Pakistan. Auch andere Formen von Zwang, wie die Praxis, Sex gegen Geld oder Essen von Frauen und Kindern zu “kaufen”, sind bekannt geworden. Nicht zuletzt gingen viele UN-Soldat*innen Beziehungen mit Frauen aus Haiti ein und zeugten Kinder mit ihnen; sobald sie in ihr Heimatland zurückgeschickt wurden, ließen sie meist Frau und Kind(er) zurück. Diese müssen bis heute mit Stigmatisierung und vor allem Armut kämpfen, da die Soldaten in den meisten Fällen keinen Unterhalt zahlen.

 

Außerdem werfen Haitianer*innen und Wissenschaftler*innen den UN vor, die Cholera-Epidemie 2010 verursacht zu haben. Studien ließen bereits 2011 vermuten, dass die Krankheit in Haiti aufgrund von rücksichtslosem Wegwerfen menschlicher Ausscheidungen von Blauhelmsoldaten aufgetreten war. Den UN wird vorgeworfen, die Soldat*innen nicht genügend auf Cholera getestet und die internationalen Richtlinien zur Abfallentsorgung nicht beachtet zu haben. Die Folgen für die haitianische Bevölkerung waren umfangreich – insbesondere die wirtschaftlichen Folgen, wenn das männliche Familienoberhaupt oder Söhne gestorben waren, die für das Einkommen der Familie zuständig waren. Die UN gaben erst 2016 zu, eine Rolle in der Ausbreitung der Epidemie gespielt zu haben, und haben bis heute keine Verantwortung übernommen. So gibt es beispielsweise keine Kompensation für einzelne Opfer; auch wurde zwar ein Fonds für Entschädigungszahlungen eingerichtet, aber von den geplanten 400 Millionen US-Dollar kamen bis Oktober 2019 nur 10,5 Millionen durch freiwillige Spenden zusammen, von denen ein Viertel verbraucht wurde.

 

Nicht zuletzt wurde von Beobachter*innen der Lage kritisiert, dass die UN-Mission in Haiti wenig zur nachhaltigen Verbesserung der Lage in Haiti beigetragen hat. Wirtschaftlich geht es dem Land weiter schlecht und eine Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung wurde nicht erreicht. Kritiker*innen führen das auf die mangelnde Einbeziehung von wirtschaftlichen Maßnahmen in die Friedenskonsolidierungsmissionen zurück: Die UN hätten sich vor allem auf Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit fokussiert und dabei notwendige Entwicklungsarbeit vernachlässigt. Auch sei die gesamte Wirtschaft Haitis zu abhängig von den UN-Missionen geworden: es habe sich eine Peacekeeping-Economy gebildet. Viele Bürger*innen Haitis hätten Arbeit in und um die Missionen gefunden und viele Geschäfte seien nur für die Durchführung der Missionen gegründet worden – was bei Abzug der Missionen fatal für die Wirtschaft Haitis gewesen sei.

 

Probleme und Lösungsansätze

 

Die geschilderten Kritikpunkte zeigen, dass bei den UN-Missionen in Haiti einiges schief gelaufen ist. Dies stellt allerdings nicht, wie man zunächst vermuten könnte, nur ein Problem für die Haitianer*innen dar – sondern auch für die UN, die für die Erfüllung der Mandate auf die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung angewiesen sind. Die KFK sollte daher versuchen, Lehren aus den UN-Missionen in Haiti für Friedenskonsolidierungsmissionen zu ziehen.

 

In Haiti wurde die UN-Mission von der Bevölkerung als parteilich und als Besatzungsmacht angesehen – obwohl die UN auf Einladung der haitianischen Regierung vor Ort waren. Damit eine UN-Mission erfolgreich sein kann, muss die Bevölkerung mit ihr zusammenarbeiten – sie also als legitim anerkennen. Dieses Problem taucht im Zusammenhang mit Friedensmissionen immer wieder auf. Die UN sollten daher versuchen, stärker auf die Befürchtungen der Bevölkerung einzugehen und diese auszuräumen. Notwendig dazu wäre eine verbesserte Kommunikations- und Informationsstrategie. Auch könnte es helfen, sich vor der Entsendung noch stärker mit den Gegebenheiten vor Ort (beispielsweise den Beziehungen verschiedener Konfliktparteien untereinander) auseinanderzusetzen und stationierte Mitarbeiter*innen besser zu informieren.

 

Ein zweiter großer Punkt ist die Verfolgung von und Entschädigung für Verbrechen, die UN-Mitarbeiter*innen begehen. Die UN zahlen in vielen Fällen, wie beispielsweise der Cholera-Epidemie in Haiti, keine Kompensation. Zudem sind nach Richtlinien der UN alle Staaten, die Mitarbeiter*innen entsenden, für die Strafverfolgung deren Verbrechen selbst zuständig. Entsprechend müssten die Verbrechen vor nationalen Gerichten verfolgt werden – was in vielen Fällen nicht geschieht. Die UN haben seit 2016 viele Maßnahmen getroffen, um die Situation – vor allem bezogen auf sexuelle Gewalt – zu verbessern. Sie veröffentlichen die Nationalität der Straftäter*innen, haben einen Fonds für die Entschädigung der Opfer und deren Kinder weltweit gegründet und bieten psychologische Hilfe sowie Trainings für sie an. Seit 2017 werden zudem Opfervertreter*innen (sog. Victim Advocates) zu jeder UN-Mission hinzugezogen. Kritiker*innen fordern jedoch eine Intensivierung der Maßnahmen, da die Missbrauchsfälle weltweit nicht weniger werden. Beispielsweise könnte es zur Bedingung für die Teilnahme eines Landes an Friedensmissionen werden, zivile Gerichte und Militärgerichte in den Einsatzländern anzuerkennen, die sich mit den Fällen auseinandersetzen können. Auch könnte es Sinn ergeben, verpflichtende DNA-Proben für alle beteiligten Soldat*innen einzuführen, damit die Beweisführung (insbesondere auch Vaterschaftstests) vereinfacht wird. Nicht zuletzt wären auch eine Sensibilisierung aller an der Mission beteiligten Personen für das Thema, spezielle Trainings für Zuständige, die Schaffung funktionierender Meldesysteme inklusive der Informierung der Bevölkerung über diese und eine aggressive Verfolgung der Verbrechen dringend nötig.

 

Nicht zuletzt fallen viele der geschilderten Probleme unter den Punkt der ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit von UN-Friedensmissionen. UN-Friedensmissionen sind häufig so groß, dass sie wie eigene kleine Städte wirken – und entsprechend Energie, Infrastruktur und Versorgung benötigen. Außerdem sind in Wiederaufbauprogramme häufig Maßnahmen wie der Aufbau von Infrastruktur oder Programme zur Ausbildung ehemaliger irregulärer Streitkräfte integriert. Häufig nicht beachtet werden dabei Effekte, die die Friedensmission und ihre Maßnahmen auf die Wirtschaft der Länder habt, in denen sie stationiert ist. Friedensmissionen kurbeln zu Beginn ihrer Stationierung die Wirtschaft an; zu beobachten ist allerdings, dass bei Reduzierung oder Auflösung der Mission der positive Effekt wegfällt; die Wirtschaft befindet sich meist wieder auf einem Niveau vergleichbar mit dem vor der Stationierung. Einer der Gründe dafür ist die Einstellungspolitik der UN: Sie zahlen meist höhere Löhne als in der lokalen Wirtschaft üblich, sodass auch hochqualifizierte Arbeitskräfte Arbeitsplätze bei den UN annehmen, die weit unter ihren Qualifikationen liegen – und somit der lokalen Wirtschaft fehlen.

Die UN haben darauf bereits reagiert. Im 2015 veröffentlichten HIPPO-Report wurde empfohlen, dass Friedensmissionen die lokale Wirtschaft so gut es geht stärken sollen, insbesondere durch den Erwerb von Gütern und Service-Leistungen vor Ort. Kritiker*innen fordern jedoch, den ökonomischen Wiederaufbau des Landes explizit ins Mandat von Missionen aufzunehmen, um dieses Thema bei der Missionsplanung und -durchführung verstärkt zu beachten. Auch könnten in jeder Mission spezielle Posten für diese wichtige Aufgabe geschaffen werden. Nicht zuletzt sollte der wirtschaftliche Aspekt auch in das Training von entsendeten Mitarbeiter*innen stärker einfließen – so könnten beispielsweise Soldaten besser über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Frauen, die sie mit Kindern zurücklassen, aufgeklärt werden. Nicht zuletzt gilt zudem: die UN brauchen eine funktionierende Exit-Strategie, um den Prozess der Loslösung der Mission von der lokalen Wirtschaft aktiv zu gestalten und Unterstützungsarbeit ggf. an lokale Akteur*innen zu übergeben.

 

Punkte zur Diskussion

Wie sich gezeigt hat, wurden die UN-Missionen in Haiti umfangreich kritisiert. Die Delegierten sollten sich zunächst darauf verständigen, welche der Kritikpunkte tatsächliche Probleme für Friedenskonsolidierung allgemein darstellen. Erst wenn die KFK sich darüber einig ist, sollte sie sich Lösungsansätzen zuwenden. Folgende Fragen können diskutiert werden:

-        Wie kann mit der Kritik von Bevölkerungen umgegangen werden, dass Missionen parteilich oder Besatzungsmächte sein? Wie könnte die Kommunikation mit und Information der Bevölkerung verbessert werden? Wie können die UN ihre Missionen und Mitarbeiter*innen besser auf die Situation vor Ort vorbereiten?

-        Sind Menschenrechtsverletzungen durch UN-Mitarbeiter*innen auf Missionen ein allgemeines Problem von UN-Friedensmissionen? Wenn ja, wie kann die Verfolgung der Verbrechen verbessert werden? Sollte dies überhaupt geschehen? Welche Praktiken könnten von der Verfolgung von sexueller Gewalt auch auf andere Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen von Zivilist*innen übertragen werden? Welche neuen Praktiken sollten auch im Bereich sexueller Gewalt beschlossen werden?

-        Wie könnten UN-Friedensmissionen nachhaltiger in Bezug auf ökonomische und soziale Aspekte werden? Wie kann Entwicklungsarbeit besser in ihre Mandate integriert werden? Wie kann die Zusammenarbeit mit Akteur*innen der Entwicklungsarbeit verbessert werden?

-        Welche Maßnahmen können getroffen werden, damit keine “Peacekeeping Economies” entstehen? Wie können die lokale Bevölkerung und der Staat besser wirtschaftlich von den Missionen profitieren?

 

Lexikon

 

Blauhelmsoldat*innen: Da die Soldat*innen, die in UN-Friedensmissionen tätig sind, einen blauen Helm als Erkennungszeichen tragen, werden sie auch Blauhelmsoldat*innen genannt.

 

Cholera: Cholera ist eine schwere bakterielle Infektionskrankheit vor allem des Dünndarms. Menschen infizieren sich vor allem über verunreinigtes Trinkwasser oder infizierte Nahrung. Gekennzeichnet ist die Krankheit von schwerem Durchfall und Erbrechen, die zu einem starken Flüssigkeitsmangel führen können. Wenn die Krankheit nicht behandelt wird, sterben etwa 20-70% der Infizierten.

 

Exit-Strategie: Der “Exit” ist der Abzug der Streitkräfte bei Beendigung einer Friedensmission. Mit der Forderung nach einer Exit-Strategie verbindet sich, dass UN-Friedensmissionen frühzeitig in ihrer Planung beachten sollten, wie sie den Übergang möglichst überlegt gestalten, um wenig negative Effekte durch den plötzlichen Wegfall vieler Strukturen sowie Hilfs- und Koordinationsangebote zu erzeugen.

 

Friedenskonsolidierung: Friedenskonsolidierung im Verständnis der UN dient der dauerhaften Stabilisierung und dem Friedenserhalt nach der Beendigung eines Konfliktes. Dazu gehören u.a. die Wiederherstellung von Sicherheit, der Aufbau wirtschaftlicher, politischer und rechtlicher Strukturen sowie soziale Entwicklung.

 

HIPPO-Report: Der Bericht des unabhängigen Ausschusses zu Friedensmissionen (englisch: Report of the Independent High-level Panel on Peace Operations), kurz als HIPPO-Report bezeichnet, wurde von 2014 vom UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon beauftragt und enthält Empfehlungen zur Verbesserung von UN-Friedensmissionen.

 

Humanitäre Hilfe: Wenn Menschen in akute Notlagen geraten, leistet die internationale Gemeinschaft oftmals humanitäre Hilfe, damit ihre Lage schneller und unter gesicherten Bedingungen verbessert werden kann. Die häufigsten Auslöser für Situationen, in denen humanitäre Hilfe geleistet werden muss, sind Naturkatastrophen sowie aus inner- oder zwischenstaatlichen Konflikten entstandene Krisen. Humanitäre Hilfe wird sowohl von UN-Hilfsorganisationen wie UNICEF, UNHCR und dem World Food Programme geleistet als auch von nichtstaatlichen Akteur*innen wie dem Internationalen Komitee  vom Roten Kreuz, Ärzte ohne Grenzen und anderen. Sie gehört aber meistens, wie auch in Haiti, nicht zum zentralen Einsatzgebiet der UN-Friedensmissionen.

 

Irreguläre Streitkräfte: So werden bewaffnete Kräfte bezeichnet, die nicht Teil der regulären Streitkräfte sind. Reguläre Streitkräfte sind bewaffnete Kräfte, die von einem Staat aufgestellt werden. Sie umfassen auch Gendarmerie (Polizei), halbmilitärische Organisationen, Freiwilligenformationen und Milizen, die zu Beginn oder im Verlauf von bewaffneten Konflikten in die Streitkräfte eingegliedert im Kampf eingesetzt werden.

 

Kapitel VII UN-Charta: Dieses Kapitel der UN-Charta befasst sich mit den Maßnahmen, die der UN-Sicherheitsrat tätigen kann, wenn ein Bruch oder eine Bedrohung des Weltfriedens vorliegen. Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta umfassen nicht-gewaltsame (z.B. Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, Abbruch diplomatischer Beziehungen) und gewaltsame (z.B. Einsatz von Streitkräften, Blockaden) Maßnahmen.

 

Mandat: Das Mandat einer UN-Mission definiert ihre Ziele und Aufgaben. Es wird in der Resolution festgehalten, mit der die Mission eingesetzt wird. Dort ist beispielsweise auch zu finden, bis wann die Mission andauern soll und wie viele Zivilist*innen und ggf. Soldat*innen und Polizist*innen entsandt werden.

 

Militärregime: Ein Militärregime ist eine Staatsführung, die aus Mitgliedern des Militärs besteht und nicht demokratisch herrscht. Regime ist dabei eine Bezeichnung für “Staatsführung”.

 

Organisation Amerikanischer Staaten: Dies ist eine Regionalorganisation, ähnlich der Afrikanischen oder Europäischen Union. Ziele der Organisation sind: Demokratisierung und Menschenrechte fördern, Kriminalität und Drogenhandel bekämpfen, Frieden sichern, eine panamerikanische Freihandelszone schaffen. Mitglieder sind 35 Staaten Nord- und Südamerikas.

 

Parteilichkeit: Parteilichkeit bedeutet, für eine bestimmte Gruppe “Partei zu ergreifen”, also auf ihrer Seite zu stehen. Zum Gegenteil davon, zur “Unparteilichkeit”, sind UN-Missionen verpflichtet.

 

Peacekeeping Economy: Dieser Begriff bezeichnet ökonomische Aktivitäten, die ohne eine UN-Präsenz nicht oder viel weniger existieren würden. Die ökonomischen Aktivitäten umfassen dabei Jobs innerhalb der UN-Mission, die für lokale Bürger*innen zur Verfügung stehen, weniger formelle Jobs wie Hausarbeit oder Gärtnern für UN-Mitarbeiter*innen, Jobs in Geschäften, die primär die UN-Mission und ihre Mitarbeiter*innen versorgen und alle weiteren Effekte auf andere Sektoren, die von den ökonomischen Aktivitäten mit der UN-Friedensmission ausgehen. 

 

Rechtsstaatlichkeit: Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass eine Regierung nur im Rahmen bestehender Gesetze handeln darf. So sollen Bürger*innen vor willkürlichem und diskriminierendem Handeln geschützt werden.

 

Sexuelle Gewalt: Es gibt keine offizielle, weltweit einheitliche Definition sexueller Gewalt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Teil der UN definiert sexuelle Gewalt als jeden sexuellen Akt, Versuch, einen sexuellen Akt zu erwirken oder andere Handlungen gegen die Sexualität eines Menschen gerichtet. Diese muss durch durch Zwang ausgeübt werden, durch jegliche Person unabhängig ihrer Beziehung zum Opfer und in jedem Umfeld (z.B. zu Hause und außerhalb des Hauses).

 

Souveränität: Souveränität bedeutet, dass ein Staat innerhalb der eigenen Grenzen und gegenüber anderen Staaten unabhängig agieren kann und in der Ausübung seiner Staatsgewalt frei ist.

 

Staatsstreich: Ein Staatsstreich ist die Absetzung einer Regierung, ohne dass ihre Amtszeit vollendet oder sie zurückgetreten ist. Staatsstreiche sind somit nicht vorgesehen und geschehen meist, wenn bestimmte Gruppierungen wie das Militär unzufrieden mit der Führung des Staates ist.

 

UN-Friedensmissionen: Das sind Entsendungen von Soldat*innen, Polizeikräften und Zivilist*innen, die der UN-Sicherheitsrat aufgrund eines Bruches des Weltfriedens und einer Gefährdung der internationalen Sicherheit beschließen kann. Das Ziel von Friedensmissionen ist, Gewalt einzudämmen, eine weitere Eskalation zu verhindern und die Sicherheit von Menschen und Institutionen in Krisenregionen zu gewährleisten. Zudem sind sie in der Friedenskonsolidierung beschäftigt – und haben dabei, wie in Haiti, primär Aufbau-Funktionen wie Wiederaufbau des Staates oder der Polizei inne.

 

Westliche Hemisphäre: Die westliche Hemisphäre bezeichnet eine Hälfte des Globusses – die westlich des Nullmeridians (London) und östlich des 180. Längengrades. Sie umfasst damit Europa westlich von London, Westafrika (einschließlich des Maghreb), den größten Teil des Atlantiks, Amerika und große Teile des Pazifiks. 

 

Zivilist*in: Zivilist*innen sind Menschen, die nicht in einen bewaffneten Konflikt involviert sind.

 

Wichtige Dokumente

Resolution der Generalversammlung 62/63 (2008: https://www.un.org/depts/german/gv-62/band1/ar62063.pdf – eine der ersten Resolutionen zur Strafverfolgung von UN-Personal (deutsch).

 

A/74/533 (2019): https://www.undocs.org/en/A/74/533 – Bericht des Generalsekretärs zum Implementierung von Empfehlungen des Spezial-Komitees zur Friedensmissionen; Teil XI beschreibt den aktuellen Stand zu Fehlverhalten (englisch). 

 

A/75/228 (2020): https://undocs.org/en/A/75/228 – Bericht des Generalsekretärs zu Strafverfolgung von UN Personal; inhaltlich nicht besonders ergiebig, aber letzte Beschäftigung des UN-Generalsekretärs mit der Thematik (englisch).

 

A/RES/74/181 (2019): https://undocs.org/en/A/RES/74/181 – aktuelle Resolution der Generalversammlung zur Strafverfolgung von UN-Personal inklusive einiger Maßnahmen (englisch).

 

A/70/729: http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-CF6E4FF96FF9%7D/a_70_729.pdf – Bericht des Generalsekretärs zu sexuellem Missbrauch und dem Umgang mit ihm; unter 4. eine gute Zusammenstellung möglicher Maßnahmen, von denen einige inzwischen implementiert wurden (englisch).

 

A/74/705: https://conduct.unmissions.org/sites/default/files/a_74_705_e_special_measures_for_protection_from_sexual_exploitation_and_abuse.pdf – Bericht des Generalsekretärs über den Implementierungsstand von Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch; unter XI. Übersicht darüber, was noch getan werden muss (englisch).

 

S/RES/2272 (2016): https://www.un.org/depts/german/sr/sr_16/sr2272.pdf – Sicherheitsratsresolution zu Maßnahmen bei Fehlverhalten im Bezug auf sexuellen Missbrauch; diese Resolution wird momentan implementiert (deutsch).

 

Quellenangaben und weiterführende Links

 

Walter, Jan D. (2017): Haiti, die UN und die ungewollten Effekte einer Friedensmission, https://www.dw.com/de/haiti-die-un-und-die-ungewollten-effekte-einer-friedensmission/a-40947713 – sehr guter Artikel zu den negativen Folgen der UN-Missionen in Haiti (deutsch).

 

Conduct in UN Field Missions (2020): Conduct in UN Field Missions, https://conduct.unmissions.org – Website zum Verhalten von UN-Mitarbeiter*innen auf Missionen der UN (englisch).

 

United Nations Peace Operations (2018): Serving with Pride. Key Initiatives to Prevent and Address Misconduct, https://conduct.unmissions.org/sites/default/files/serving_with_pride_final_31_may_2018_0.pdf – Zusammenfassung der bisher getroffenen Maßnahmen im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen durch UN-Personal, zentral gegen Missbrauch (englisch).

 

United Nations Peacekeeping (2020): Standards of Conduct, https://peacekeeping.un.org/en/standards-of-conduct – Überblick über bisher getroffene Maßnahmen gegen Missbrauch durch UN-Personal (englisch).

 

United Nations (2020): Preventing Sexual Exploitation and Abuse, https://www.un.org/preventing-sexual-exploitation-and-abuse/ – Seite der UN zu sexuellem Missbrauch (englisch).  

 

Brzoska, Michael (2004): Erfolge und Grenzen von Friedensmissionen, https://www.bpb.de/apuz/30529/erfolge-und-grenzen-von-friedensmissionen – längerer Übersichtsartikel zu Erfolgen und Grenzen von Friedensmissionen allgemein, teilweise mit Bezug zu Haiti; gut nutzbar für die Formulierung von allgemeinen Maßnahmen; zu beachten ist, dass der Artikel sich nicht nur auf Friedenskonsolidierung bezieht (deutsch).

 

Schünemann, Julia (2010): Sak Vid Pa Kanpe – Die Zerbrechlichkeit des Haitianischen Staates und die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen https://www.bpb.de/apuz/32631/sak-vid-pa-kanpe-die-zerbrechlichkeit-des-haitianischen-staates-und-die-stabilisierungsmission-der-vereinten-nationen?p=all – Artikel zur MINUSTAH und ihren Aufgaben sowie zur Geschichte der UN in Haiti (deutsch).

 

Security Council Report (2020): UN Documents for Haiti, https://www.securitycouncilreport.org/un-documents/haiti/ – Sammlung aller UN-Dokumente zu Haiti (englisch).

 

Security Council Report (2020): Haiti Chronology of Events, https://www.securitycouncilreport.org/chronology/haiti.php – Chronologische Reihenfolge der Ereignisse in Haiti seit den 1990er Jahren (englisch).

 

Ludwig, Johannes (2017): UN-Friedensmission MINUSTAH in Haiti nach 13 Jahren beendet, https://dgvn.de/meldung/un-friedensmission-minustah-in-haiti-nach-13-jahren-beendet/ – Bericht zur Aussetzung der MINUSTAH und (gegen Ende des Berichtes) zu Maßnahmen, die getroffen wurden, um das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen (deutsch).

 

AlJazeera (2017): UN Peacekeepers leave Haiti: What is their legacy? https://www.aljazeera.com/news/2017/10/06/un-peacekeepers-leave-haiti-what-is-their-legacy/ – Artikel zu negativen Folgen der UN-Missionen in Haiti; insbesondere interessant ein Video zur eventuellen Involvierung der UN im Cholera-Ausbruch (englisch).

 

Wheeler, Skye (2020): UN Peacekeeping has a Sexual Abuse Problem, https://www.hrw.org/news/2020/01/11/un-peacekeeping-has-sexual-abuse-problem – Artikel zur Missbrauchsproblematik in Haiti und ersten Maßnahmen der UN dagegen (englisch).

 

Weiss, Sandra (2019): Haiti steht vor dem Abgrund,  https://www.dw.com/de/haiti-steht-vor-dem-abgrund/a-51519456 – Artikel zu der Lage in Haiti heute (insbesondere wirtschaftlich) (deutsch).

 

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