forum Sicherheit kerntechnischer Anlagen in Konfliktgebieten

Einführung in das Thema

Kursiv geschriebene Wörter werden am Ende des Textes im Lexikon erklärt.

1. Kurzzusammenfassung

Unter kerntechnischen Anlagen werden Kernkraftwerke, Forschungsreaktoren, Wiederaufbereitungsanlagen für nukleare Brennstäbe oder Lagerstätten für nukleares Material zusammengefasst. Diese sind durch Artikel 56 (1) des ersten Zusatzprotokolls zur Genfer Konvention (1949) vor militärischen Angriffen geschützt, es gibt jedoch Ausnahmen. Wie im Krieg gegen die Ukraine zu sehen ist, halten sich Kriegsparteien nicht unbedingt an das Völkerrecht. Das ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja, die größte kernenergetische Anlage Europas, und dessen unterstützende Infrastruktur, ist zum Ziel russischer Angriffe geworden. Im schlimmsten Fall kann dies zu einer Kernschmelze in den Reaktoren führen, was zu Explosionen und nuklearem Fallout in direkter Umgebung des Kernkraftwerks und breitflächiger radioaktiver Kontamination in der Ukraine, Teilen Russlands, Ost- und Südeuropas und der Region am Schwarzen Meer führen kann. Auch langfristige Folgen durch die erhöhte bis hohe Strahlenbelastung sind für die Bevölkerung und die Nahrungsmittelproduktion eine schwerwiegende Gefahr. Da die Ukraine als die Kornkammer Europas bezeichnet wird, wäre eine radioaktive Kontamination des Getreides katastrophal für die Versorgung der ukrainischen Bevölkerung, sowie als Hilfslieferung für die am wenigsten entwickelten Länder der Welt.

Die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO hat zahlreiche Schutzbestimmungen und Sicherheitsprinzipien für den Bau und den Betrieb kerntechnischer Anlagen festgelegt. Diese legen Maßnahmen und Regeln fest, mit welchen diese Einrichtungen gegen menschliches Versagen, technische Fehler und Naturkatastrophen, sowie gegen kriminelles Verhalten geschützt werden sollen. Doch sind diese Schutzmaßnahmen nicht dafür ausgelegt, dass kerntechnische Anlagen militärischen Angriffen standhalten sollen. Insofern sollte das höchste Ziel sein, dass kerntechnische Anlagen nicht zum Ziel militärischer Operationen oder gar zum Schlachtfeld werden. Dies könnte geschehen durch die Errichtung entmilitarisierter Zonen oder durch bilaterale Übereinkommen zwischen den Konfliktparteien.

2. Punkte zur Diskussion

  • Welche Maßnahmen kann die internationale Staatengemeinschaft ergreifen, damit kerntechnische Anlagen nicht zum Ziel militärischer Angriffe werden?
  • Bedarf es einer völkerrechtlichen Konvention zum Schutz kerntechnischer Anlagen in Konfliktgebieten? Welche Punkte müsste eine solche Konvention enthalten?
  • Wie können Kernkraftwerke in aktuellen Kriegen geschützt werden?
  • Sollte das Gebiet um kerntechnische Anlagen zu entmilitarisierten Zonen erklärt werden? Wer könnte die Einhaltung dieser kontrollieren?

3. Einleitung

Die Sicherheit von kerntechnischen Anlagen ist nicht nur für die Sicherheit der Stromversorgung relevant, sondern gerade wegen der schwerwiegenden Folgen, wenn es zu Unfällen kommt. Die schlimmstmöglichen Folgen zeigten die Reaktorunfälle im ukrainischen Tschernobyl (damals noch Teil der Sowjetunion) am 26. April 1986 und im japanischen Fukushima am 11. März 2011. In Tschernobyl kam es aufgrund menschlichen Versagens und konstruktionstechnischer Mängel zu einer totalen Kernschmelze und zu zwei Wasserstoffexplosionen, welche das Dach des Kernkraftwerkes wegsprengten. Es wurde eine Sperrzone von 30 km um das Kraftwerk errichtet, der radioaktive Fallout war aber noch in weiten Teilen Mitteleuropas zu messen. In Fukushima zerstörte ein durch ein Erdbeben ausgelöster Tsunami die Stromversorgung der Kühlsysteme der Reaktorblöcke, was zu einer Überhitzung der Brennelemente und einer teilweisen Kernschmelze und mehreren Explosionen und Bränden führte, welche die Gebäudehüllen schwer beschädigten und große Mengen radioaktiver Elemente freisetzten. Auch hier wurde ein Gebiet von 20 km evakuiert und gesperrt.

4. Hintergrund und Grundsätzliches

Kerntechnische Anlagen sind sowohl kommerzielle Kernkraftwerke (KKW) zur Stromerzeugung, Forschungsreaktoren an Universitäten, sowie Uran- Anreicherungsanlagen, Wiederaufbereitungsanlagen und Zwischenlager. Forschungsreaktoren und Kernkraftwerke funktionieren durch die kontrollierte Spaltung von radioaktivem Material, der sogenannten Kernspaltung.

Je nach Art der Bau- und Funktionsweise, der Kühlung und des verwendeten Brennstoffs wird in verschiedene Reaktortypen unterteilt. Der international am häufigsten zur Stromerzeugung verwendete Reaktortyp ist mit 90% aller betriebener Kernkraftwerke der Leichtwasserreaktor (LWR). In LWR dient “leichtes” Wasser, also normales H2O, sowohl als Kühlmittel, als auch als Medium, durch welches die Neutronen zu den radioaktiven Brennstäben geschossen werden. Beide LWR-Typen brauchen angereichertes Uran, Plutonium oder ein Uran-Plutonium-Gemisch als spaltbares Brennmaterial. Dabei wird Trinkwasser direkt in einen Druckbehälter gepumpt, in welchem sich die Brennstäbe befinden. Das Wasser wird durch die bei der Kernspaltung erzeugten Hitze und dem Druck im Kessel erhitzt und verdampft und der Wasserdampf treibt dann Turbinen an oder heizt einen zweiten Wasserkreislauf auf, welcher dann die Turbinen antreibt. Die Bewegungsenergie der Turbine wird dann in elektrischen Strom umgewandelt. Der Wasserdampf wird danach abgekühlt und wieder in den Druckbehälter eingespeist.

Dabei ist es unerlässlich, dass die Temperatur im Kessel mit den Brennstäben einen kritischen Wert nicht überschreitet. Um dies zu verhindern, gibt es Schutzmaßnahmen, wie zum Beispiel die sogenannten Steuerstäbe, die aus einem stark absorbierenden Material bestehen und die Neutronen absorbieren, die sonst die Kernspaltung in den Brennstäben anregen und aufrechterhalten sollen, und den Reaktor so abschalten. Wird dieser Wert der Kritikalität überschritten, kommt es in den Brennstäben zu einem Kaskadeneffekt, bei dem die Kernspaltung nicht mehr kontrolliert werden kann. Es kommt zur sogenannten Kernschmelze, welche den Druckbehälter zum Bersten bringt und bei der Explosion radioaktive Strahlung ausstößt und zu radioaktivem Fallout führt.

Forschungs- und Versuchsreaktoren dienen nicht der kommerziellen Stromerzeugung, sondern zum Testen verschiedener Reaktortypen, für militärische Zwecke, zum Beispiel für den Antrieb von U-Booten oder Flugzeugträgern, wie sie die amerikanische, britische, französische und russische Marine betreiben, vor allem aber für den zivilen Gebrauch zur Weiterentwicklung von Kernkraftwerken oder zur Erforschung neuartiger Fusionsreaktoren. In einem Zwischenlager werden benutzte Brennelemente gelagert, wenn sie nicht mehr für die Energieerzeugung in KKW benutzt werden können, aber noch zu viel Nachzerfallswärme und radioaktive Strahlung ausstrahlen. Sind die Brennstäbe nach einigen Jahren soweit abgeklungen, können sie entweder in eine Wiederaufbereitungsanlage überführt werden oder - sofern vorhanden - in ein Endlager eingelagert werden.

In Wiederaufbereitungsanlagen werden benutzte, abgebrannte Brennstäbe aus KKW in wiederverwendbare Anteile, insbesondere Uran und Plutonium, und in radioaktiven Abfall separiert. Wiederverwendbares Material wird neuen Brennstäben zugeführt, während radioaktiver Abfall in einem Zwischen- bzw. Endlager abgelegt wird. Die grundlegenden Sicherheitsprinzipien kerntechnischer Anlagen, wie sie die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO, engl. International Atomic Energy Agency, IAEA) in der Kernsicherheitskonvention (engl. Convention on Nuclear Safety, CNS) festgelegt hat, sollen Mensch und Umwelt vor den schädlichen Auswirkung radioaktiver Strahlung schützen (IAEA 2006: 4). Um diese fundamentalen Schutzziele zu erreichen, müssen Maßnahmen in folgenden drei Bereichen ergriffen werden: 1. muss die Strahlenbelastung von Personen und die Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umwelt kontrolliert werden; 2. muss die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen, die zu einem Verlust der Kontrolle über einen Kernreaktor, eine nukleare Kettenreaktion, eine radioaktive Quelle oder eine andere Strahlungsquelle führen könnten, begrenzt werden; und 3. müssen die Folgen eines solchen Ereignisses abgemildert werden, sollten sie eintreten. Diese Maßnahmen werden auch als die 3Cs der Kernsicherheit bezeichnet: Control the Power, cool the fuel and contain radioactivity. Die IAEO veröffentlicht darüber hinaus auch eine Reihe weiterer genereller (engl. General Safety Requirements, GSR) und spezifischer (engl. Specific Safety Requirements, SSR) Sicherheitsrichtlinien für den Betrieb kerntechnischer Anlagen. Die sieben GSR und sechs SSR werden von der IAEO als IAEA Nuclear Security Series veröffentlicht.

5. Aktuelles

Welche Folgen Unfälle oder menschliches Versagen im Betrieb von KKW haben, hat die Weltbevölkerung mehrmals mit eigenen Augen sehen können. Doch was passiert, wenn die Störung kerntechnischer Anlagen mutwillig herbeigeführt wird? Die Gefahren können dabei vielfältig sein, wie die folgenden Beispiele exemplarisch beweisen. Lange Zeit lag der Fokus auf den Gefahren durch Sabotage und terroristischen Anschlägen auf kerntechnische Anlagen. 1971 bedrohte ein durch Brandstiftung erzeugter Brand ein Kernkraftwerk 60 km nördlich der Metropole New York City. Amerikanische Geheimdienste berichteten dem Untersuchungsausschuss nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001, dass auch kerntechnische Anlagen potentielle Angriffsziele waren. Die IAEO hat über 1.000 solcher Vorfälle in ihrer Incident and Trafficking Database (ITDB) gesammelt. Wie der Name verrät, liegt der Fokus dieser Datenbank auch auf Fällen von Diebstahl und dem illegalen Handel mit spaltbarem Material.

Doch gerieten kerntechnische Anlagen auch immer wieder in das Fadenkreuz militärischer Angriffe. 1981 attackierte erst der Iran, dann Israel, das irakische KKW Osirak nahe Bagdad. Zwischen 1984 und 1987 griff der Irak dann wiederum sechs Mal das iranische KKW Bushehr mit Raketen an. Sowohl die irakische als auch die iranische Anlage waren zum Zeitpunkt der Luftangriffe noch im Bau befindlich und nicht mit spaltbarem Material befüllt und somit bestand keine Gefahr einer radioaktiven Katastrophe. Zweimal wurde auch das israelische Kernforschungszentrum Negev mit Raketen angegriffen, 1991 durch den Irak und 2014 durch die Terrororganisation Hamas. Diese Angriffe konnten mit Hilfe der israelischen Luftabwehrraketen abgewehrt werden.

Im Juni 2010 wurde auf Computern in iranischen kerntechnischen Anlagen und im Dezember 2014 auf Computern in südkoreanischen Kernkraftwerken Spionage- und Schadsoftware gefunden. In beiden Fällen wurden teils geheime Informationen ausgespäht, eine Gefahr für den Betriebsablauf bestand damals nicht. Doch Cyberkriminalität entwickelt sich stetig weiter und auch staatliche Akteure wie Militär und Geheimdienste setzen vermehrt auf Kriegsführung im virtuellen Raum, um im Rahmen asymmetrischer Kriegsführung kritische Infrastruktur, wie zum Beispiel die Stromerzeugung, anzugreifen. Kerntechnische Anlagen können dabei ebenfalls ins Fadenkreuz geraten oder bei einem breitflächigen Cyberangriff als Kollateralschaden lahmgelegt werden.

Ein sehr präsentes Beispiel für die gefährdete Sicherheit kerntechnischer Anlagen ist der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 ging nur Stunden zuvor ein Cyberangriff auf die Satellitenkommunikation voraus, welcher nicht nur die Kommunikation in der Ukraine lahmlegte, sondern auch in Deutschland die Verbindung zu Windturbinen zur Stromerzeugung in der Nordsee unterbrach.

Und auch die Gefahr konventioneller militärischer Angriffe auf kerntechnische Anlagen ist in jüngster Zeit wieder in das Bewusstsein gerückt. Die Nordflanke des Vorstoßes russischer Truppen beim Angriff auf die Ukraine und auf die ukrainische Hauptstadt Kyiv umfasste auch das Gebiet des verunglückten KKW Tschernobyl und ukrainische Truppen erlangten erst Ende März die Kontrolle über das Gebiet zurück. Noch gefährlicher entwickelt sich der Kampf um das KKW Saporischschja, dem größten Kernkraftwerk Europas, welches am 3. März von russischen Truppen angegriffen und besetzt wurde. Dabei kam es auch zu einem Brand in einem sich auf dem Gelände befindlichen Trainingsgebäude, welcher aber gelöscht werden konnte, bevor er sich auf andere Gebäude ausbreiten konnte. Nach der Besetzung des KKW errichtete das russische Militär Stellungen in und um das Gelände herum und stationierte dort auch schwere Waffensysteme. Zeitgleich traf sich der Verwaltungsrat der IAEO und Generaldirektor Rafael Mariano Grossi legte dabei sieben unverzichtbare Säulen der nuklearen Sicherheit von Kernkraftwerken in Kriegsgebieten fest.

Während der andauernden Kämpfe in den nächsten fünf Monaten wurden immer wieder Reaktorblöcke und angrenzende Lagerhallen von Geschützen getroffen. Am 19. August 2022 erlaubten die russischen Besatzungsmächte eine Inspektion des KKW durch die IAEO, welche zehn Tage später am 29. August begann. Am 6. September 2022 veröffentlichte die IAEO einen ersten Report, welcher den Zustand und die Betriebsfähigkeit des KKW dokumentierte und außerdem feststellte, dass die russischen Besatzungsmächte gegen alle sieben unverzichtbare Säulen der nuklearen Sicherheit verstoßen haben. Infolgedessen drängte die IAEO darauf, die Energieerzeugung zu unterbrechen, das Kraftwerk abzuschalten und die Brennstäbe abkühlen zu lassen. Die Kraftwerksbetreiber kamen dieser Aufforderung nach und schalteten vier der sechs Reaktoren ab, ließen zwei Reaktoren aber weiterlaufen, um das Kraftwerk in den folgenden Wintermonaten bei Bedarf schnell wieder hochfahren zu können. Bei der Sitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (engl. United Nations Security Council, UNSC) am 30. Mai 2023 berichtete der IAEO-Generaldirektor Grossi von der Situation rund um das KKW Saporischschja und schilderte mehrere Vorfälle von Beschuss auf das Kernkraftwerk, Minenexplosionen und wiederkehrender Schäden an der Stromzufuhr, weswegen in sieben Fällen die Notfallgeneratoren die Kühlung der Reaktoren sicherstellen mussten. In Rücksprache mit dem UNSC bat Rafael Grossi die Kriegsparteien, sich auf folgende fünf Prinzipien zu einigen: 1. Es sollen keine Angriffe vom oder auf das Kernkraftwerk ausgeführt werden; 2. Auf dem Gelände des Kernkraftwerks soll kein militärisches Personal oder Material stationiert werden; 3. Die Sicherstellung der externen Stromzufuhr; 4. Der Schutz aller essentieller Konstruktionen, Systeme und Komponenten vor Angriffen und Sabotage; 5. Keine Maßnahmen, die diesen Grundsätzen zuwiderlaufen. Der Bruch des Staudamms am Kachowkaer Stausee nach einer Explosion am 6. Juni 2023 schürten erneut Sorgen um die Sicherheit des Kernkraftwerks, da dieses Wasser die Hauptquelle für das Kühlwasser der Reaktoren war. Durch die Kaltabschaltung und die Unterbrechung des Betriebs des KKW bestand laut IAEO aber keine Gefahr einer Kernschmelze. Zurzeit werden Brunnen und Grundwasserreservoirs angezapft, um die Kühlung aufrechtzuerhalten.

6. Probleme und Lösungsansätze

Die Kernsicherheitsforschung unterscheidet zwischen zwei unterschiedlichen, sich teilweise überlappenden, Konzepten: Nuclear Safety und Nuclear Security, wobei beide Konzepte im Deutschen mit Kernsicherheit übersetzt werden. Kernsicherheit im Sinne der Nuclear Safety beschäftigt sich vor allem mit der Vermeidung menschlicher Fehler, Systemfehler oder dem Schutz vor Naturkatastrophen. Richtlinien dafür gibt es, seitdem Kernkraft zur Energieerzeugung genutzt wird, und diese werden stetig an den Stand der Forschung angepasst. Kernsicherheit im Sinne der Nuclear Security behandelt die Vorhersage und den Schutz kerntechnischer Anlagen vor böswilligen Absichten wie Raub radioaktivem Materials, Terrorismus oder Sabotage. Maßnahmen gibt es vor allem seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und richten sich gegen den illegalen Handel mit radioaktivem Material und gegen nuklearen Terrorismus. Es gibt bisher kein allgemeinverbindliches internationales Verbot von militärischen Aktionen gegen kerntechnische Anlagen.

Den völkerrechtlichen Rahmen zum Schutz von Kernkraftwerken bildet vor allem Artikel 56 des ersten Zusatzprotokolls zur Genfer Konvention (1949). Absatz 1 verbietet zwar den Angriff auf Kernkraftwerke, und Absatz 4 verbietet es, solche Anlagen und Einrichtungen zum Gegenstand von Repressalien zu machen, Absatz 2b listet aber auch Ausnahmen, wann der Schutz vor militärischen Angriffen endet, nämlich dann, “wenn sie elektrischen Strom zur regelmässigen, bedeutenden und unmittelbaren Unterstützung von Kriegshandlungen liefern und wenn ein solcher Angriff das einzige praktisch mögliche Mittel ist, um diese Unterstützung zu beenden”. Artikel 56 (6) besagt, dass “die am Konflikt beteiligten Parteien [...] dringend aufgefordert [werden], untereinander weitere Übereinkünfte für den zusätzlichen Schutz von Objekten zu schließen, die gefährliche Kräfte enthalten”. Ein solches Übereinkommen wurde zum Beispiel zwischen Indien und Pakistan geschlossen. Dieser Schutz gilt aber nur für Kernkraftwerke und nicht für andere kerntechnische Anlagen wie Forschungsreaktoren oder Wiederaufbereitungsanlagen und Lagerstätten außerhalb von Kernkraftwerksgeländen.

In ähnlicher Weise könnte eine begrenzte UN-Friedensmission in der Nähe von kerntechnischen Anlagen dazu beitragen, die mit dem bewaffneten Konflikt verbundenen Risiken zu mindern. Auf Ersuchen eines Staates, dessen kerntechnische Anlagen unmittelbar von einem bewaffneten Konflikt bedroht wären, könnten UN-Kräfte zum Schutz entsandt werden. Für eine solche Mission wäre jedoch auch die Zustimmung aller Konfliktparteien erforderlich, solange der Konflikt noch nicht beendet ist und müssten auf der Grundlage eines Mandats des UN-Sicherheitsrates geschehen. Dies würde zugegebenermaßen den Nutzen des Mechanismus in den Fällen einschränken, in denen ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates (VR China, Frankreich, Großbritannien, Russland, USA) eine Konfliktpartei ist.

Obwohl Staaten auf Grundlage von Gefahrensabschätzungen und spezieller Bedrohungsszenarioanalysen im Vergleich zu anderen zivilen Einrichtungen höhere Verteidigungsstrategien bei Kernkraftwerken vorschreiben, bleiben es zivile Einrichtungen, die nicht auf die Abwehr militärischer Angriffe ausgelegt sind und diesen nicht standhalten können. Die Staatengemeinschaft könnte sich daher überlegen, kerntechnische Anlagen zu entmilitarisierten Zonen gemäß Artikel 60 des ersten Zusatzprotokolls zur Genfer Konvention (1949) zu erklären. Eine solche Zone würde die mit dem bewaffneten Konflikt verbundenen Risiken mindern und gleichzeitig das unveräußerliche Recht auf die Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken bekräftigen. Hier sei darauf hingewiesen, dass die IAEO nur begrenzte Befugnisse hat, da Nuclear Security-Maßnahmen in der Zuständigkeit der Nationalstaaten liegen und völkerrechtlich bindende Maßnahmen nur der Sicherheitsrat auf Grundlage einer Resolution nach Kapitel VII der UN-Charta verabschieden kann.

7. Hinweise zur Recherche

Die Internationale Atomenergie-Organisation hat eine höchst umfangreiche und detaillierte Sammlung von Prinzipien, Richtlinien, Empfehlungen, Datenbanken und Berichten zu diesem Thema und allem, was mit Kernenergie zu tun hat. Darüber hinaus gibt es auch den wissenschaftlichen Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkung atomarer Strahlung (engl. United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation, UNSCEAR), welcher den wissenschaftlichen Kenntnisstand zusammenfasst und bewertet. Darüber hinaus hat der UNSCEAR auch die Auswirkung der Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima aufgearbeitet. Im deutschsprachigen Raum gibt es Informationen über die physikalischen Grundlagen kerntechnischer Anlagen auch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und dem ihm unterstellten Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Über die physikalischen Grundlagen können sich sich auch in wissenschaftlichen Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks informieren, zum Beispiel bei Quarks & Co. und über die medizinischen Auswirkungen schreibt zum Beispiel das Internationale Komitee der Roten Kreuz und roten Halbmond-Organisationen. Eine weitere Informationsquelle sind die Seiten der Kernenergie-Agentur (engl. Nuclear Energy Agency, NEA) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (engl. Organisation for Economic Cooperation and Development, OECD).

In Ihrer Länderrecherche sollten Sie zuerst prüfen, ob in Ihrem Staat kerntechnische Anlagen vorhanden oder geplant sind oder sich im Bau befinden, oder ob sie eventuell in Ihrer Verfassung oder eventuellen Gesetzen die Nutzung der Kernenergie untersagt haben. Wenn in Ihrem Staat kernenergetische Anlagen stehen, dann führt die IAEO den Namen Ihres Staates in eine Datenbank mit dem Namen “Power Reactor Information System (PRIS)”.

 

Lexikon

Abschaltung bezeichnet die Außerbetriebnahme eines Kernkraftwerkes. Nach der Abschaltung müssen die Atomkraftwerke unter hohen Sicherheitsstandards zurückgebaut werden. Dazu gehört beispielsweise die Abkühlung der Brennelemente.

Anreicherung beschreibt ein Verfahren, bei welchem ein natürlich vorkommendes, häufig stabiles Reinmaterial durch Erhöhung des Anteils eines bestimmten Isotops (bestimmte Variante des Materials) in diesem Material zu einem instabilen Spaltmaterial wird. Natürlich vorkommendes Uran besteht zu 99,27% aus dem stabilen Isotop 238U und zu 0,72% aus dem instabilen Isotop 235U. Bei der Anreicherung für die Verwendung in Kernkraftwerken wird der Anteil des Isotops 235U auf mindestens 3%, in der Regel auf 5% erhöht.

Isotop bezeichnet die verschiedenen Arten eines gleichen chemischen Elementes, welche alle die gleiche Anzahl an Protonen in ihrem Atomkern aufweisen (weswegen sie das gleiche Element sind) sich aber in ihrer Neutronenzahl im Atomkern unterscheiden. Isotope können entweder stabil oder instabil sein. Stabile Isotope wandeln sich nicht durch radioaktiven Zerfall in ein anderes Element um. Instabile Isotope wiederum zerfallen mit der Zeit oder durch künstliche Animation und setzen radioaktive Strahlung frei.

Kaskadeneffekt: Der Begriff Kaskadeneffekt (oder Lawineneffekt) wird für sehr verschiedenartige Prozesse verwendet, die im Sinne einer Kaskade (ital. cascata, [stufenweiser] Wasserfall) stufenweise umgesetzt werden. Auch wenn sich ein Prozess über mehrere Stufen aufschaukelt und allmählich stärker wird, spricht man von einem Kaskadeneffekt.

Als Kernschmelze bezeichnet man einen Vorgang in einem Kernreaktor, bei dem sich die Brennstäbe im Reaktorkern unkontrolliert erhitzen und verschmelzen. Eine Kernschmelze kann auftreten, wenn Reaktorkühlung und Sicherungssysteme ausfallen. Bei einer Kernschmelze handelt es sich um einen ernstzunehmenden Unfall, bei dem radioaktives Material unkontrolliert aus dem Reaktor in die Umgebung gelangen kann.

Kernspaltung oder radioaktiver Zerfall bezeichnet Prozesse der Kernphysik, bei denen ein Atomkern unter Energiefreisetzung in zwei oder mehr kleinere Kerne zerlegt wird.

Kontamination: Verunreinigung

Kritikalität: Der Zustand eines Kernreaktors, in dem eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion abläuft.

Radioaktivität oder radioaktive Strahlung nennt man die Eigenschaft instabiler Atomkerne ionisierende, also elektromagnetisch geladene Strahlung auszusenden. Sie entsteht durch einen Prozess, welcher als Kernspaltung oder auch als radioaktiver Zerfall bezeichnet wird. Es wird zwischen Alpha-, Beta- und Gammastrahlung unterschieden. Die verschiedenen Strahlungsarten unterscheiden sich durch die verschiedenen Teilchen, aus welchen sie bestehen. Alphastrahlung besteht aus Atomkernen des Helium-4-Isotops und hat eine so geringe Eindringtiefe, dass sie bereits durch ein kräftiges Blatt Papier oder einige Zentimeter Luft abgeschirmt werden kann. Betastrahlung besteht entweder aus einem negativ geladenen Elektron oder einem positiv geladenen Positron und jeweils einem neutral geladenen Neutrino. Die Betastrahlung kann durch einige Zentimeter Glas abgeschirmt werden. Gammastrahlung ist hochenergetische, elektromagnetische Strahlung in Form eines Photons, also eines Lichtquants. Um diese abzuschirmen braucht es mehrere Zentimeter bis Meter eines dichten Elements, in der Regel werden dicke Bleiklötze verwendet.

Nuklearer Fallout/ Radioaktiver Fallout / Radioaktiver Niederschlag: Radioaktiver Niederschlag entsteht nach einer Kernwaffenexplosion oder nach einem schwerwiegenden Kernreaktorunfall. Eine bei jeder dieser Ursachen erfolgte Explosion transportiert Staub in die Atmosphäre. Daraus entstehender Niederschlag wird auf der Erdoberfläche festgestellt und gemessen. Die Radioaktivität der Staubpartikel bringt eine erhebliche radioaktive Strahlenbelastung und gegebenenfalls Vergiftung (Strahlenkrankheit) mit sich.

Die sieben unverzichtbaren Säulen der nuklearen Sicherheit und Sicherung sind: 1. Die physische Unversehrtheit der Anlagen - ob Reaktoren, Brennelementlagerbecken oder Lager für radioaktive Abfälle - muss aufrechterhalten werden; 2. Alle Sicherheits- und Sicherungssysteme und -einrichtungen müssen jederzeit voll funktionsfähig sein; 3. Das Betriebspersonal muss in der Lage sein, seinen Sicherheits- und Sicherungspflichten nachzukommen, und es muss in der Lage sein, Entscheidungen frei von unangemessenem Druck zu treffen; 4. Für alle kerntechnischen Anlagen muss eine gesicherte externe Stromversorgung aus dem Netz vorhanden sein; 5. Es muss ununterbrochen logistische Versorgungsketten und Transporte zu und von den Standorten geben; 6. Es müssen wirksame Systeme zur Strahlungsüberwachung vor Ort und außerhalb des Standorts sowie Maßnahmen zur Vorbereitung auf Notfälle und zur Reaktion darauf geben; und 7. Es muss eine zuverlässige Kommunikation mit der Aufsichtsbehörde und anderen Stellen geben.

Quellenverzeichnis und weiterführende Literatur

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Dienelt, Anne, How Are Nuclear Power Plants Protected by Law During War?, doi: 10.17176/20220308-000934-0, Völkerrechtliche Einschätzung zum grundsätzlichen Status von Kernkraftwerken in Konfliktgebieten (Englisch).

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IAEA, IAEA Director General Statement to United Nations Security Council, Vienna, .2023, https://www.iaea.org/newscenter/statements/iaea-director-general-statement-to-united-nations-security-council. Transkript der Rede des IAEO-Generaldirektors vor dem UN-Sicherheitsrat, in welcher er die ein Jahr zuvor etablierten Pfeiler zum Schutz kerntechnischer Anlagen in Konfliktgebieten weiterentwickelt (Englisch).

Khripunov, Igor, Nuclear safety vs. security: Can two cultures be harmonized?, 2018, https://thebulletin.org/2018/07/nuclear-safety-vs-security-can-the-two-cultures-be-harmonized/. Artikel zu den zwei Sichtweisen auf Kernsicherheit (Englisch).

Koelzer, Winfried, Lexikon zur Kernenergie, 2019 https://publikationen.bibliothek.kit.edu/1000088491/21887576, doi: 10.5445/KSP/1000088491. Wörterbuch und Erklärungen zu den wichtigsten Begrifflichkeiten der Radioaktivität (Deutsch).

Kurando, Maria, The Case of Zaporizhzhya: Making International Nuclear Safety and Security Fit for Conflict, 2022 https://ifsh.de/en/news-detail/the-case-of-zaporizhzhia-making-international-nuclear-safety-and-security-fit-for-conflict. Einschätzung zur Lage am Kernkraftwerk Saporischschja (Englisch).

Lamm, Vanda, Protection of Civilian Nuclear Installations in Times of Armed Conflict, 2022, https://www.oecd-nea.org/law/nlb/nlb-72/029_038.pdf. Entwurf einer Konvention zum Schutz von zivilen kerntechnischen Anlagen in Zeiten bewaffneter Konflikte (Englisch).

United Nations, Briefing Security Council, International Atomic Energy Agency Director Outlines Five Principles to Prevent Nuclear Accident at Zaporizhzhia Power Plant in Ukraine, 2023, https://press.un.org/en/2023/sc15300.doc.htm. Zusammenfassung der 9334. Sitzung des UN-Sicherheitsrates, bei welcher der IAEO-Generaldirektor seine Rede zum Schutz von Kerntechnischen Anlagen in Konflikten (Englisch).

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